Frühe menschliche Besiedlung der Arabischen Halbinsel weniger vom Klima beeinflusst als bislang angenommen

Ein internationales Forscherteam der Sharjah Archaeology Authority/ Vereinigte Arabische Emirate (VAE) und der Universitäten Tübingen und Freiburg sowie Oxford Brookes/England  um Dr. Knut Bretzke von der Universität Tübingen und Prof. Dr. Frank Preusser vom Institut für Geo- und Umweltnaturwissenschaften der Universität Freiburgbringt neues Licht in die Entwicklungsgeschichte der Menschheit: Sie zeigen, dass frühsteinzeitliche Menschen zwischen 210.000 und 120.000 Jahren wiederholt am Jebel Faya im heutigen Emirat Shardscha/VAE gesiedelt haben. Das verändert die bisherigen Vorstellungen darüber, wann und wie Menschen auf die Arabische Halbinsel kamen. Die Forschenden haben ihre Erkenntnisse in der aktuellen Ausgabe von Scientific Reports publiziert.

Jebel Faya ist eine der wichtigsten frühsteinzeitlichen paläolithischen Stätten auf der Arabischen Halbinsel. Bei Ausgrabungen im Jahr 2009 wurde eine menschliche Besiedlung aus der Zeit vor 125.000 Jahren festgestellt, was sie zur damals ältesten bekannten menschlichen Stätte in dieser Region machte. Die neuen archäologischen Daten vom Jebel Faya zeigen, dass die dortige menschliche Besiedlung unter unerwarteten klimatischen Bedingungen und deutlich früher als bisher angenommen, erfolgte.

Menschen waren nicht auf günstige Klimabedingungen angewiesen

Bisher gingen Wissenschaftler*innen davon aus, dass die Region während trockener Klimaphasen für prähistorische Menschen unzugänglich war und die Besiedelung auf Perioden mit feuchteren Klimabedingungen beschränkt war. Die neuen Ergebnisse widersprechen dieser Ansicht und zeigen, dass die frühen Menschen weitaus anpassungsfähiger waren als bisher angenommen. Sie waren nicht auf längere Perioden mit günstigen Klimabedingungen angewiesen.

Mithilfe moderner archäologischer, paläoklimatologischer und datierungstechnischer Verfahren konnte das Team vier verschiedene Phasen der menschlichen Besiedlung vor 210-120.000 Jahren rekonstruieren. Das stellt frühere Vorstellungen darüber in Frage, wann Menschen während des Paläolithikums arabische Stätten besiedeln konnten und wann nicht, und eröffnet die Möglichkeit, dass noch weitere Beweise für die Verbreitung des Menschen aus Afrika während trockenerer Phasen gefunden werden könnten.

Wechselbeziehungen zwischen Mensch und Umwelt neu bewerten

„Für mich persönlich ist es am spannendsten, dass unsere Daten erste Belege für die menschliche Besiedlung der Arabischen Halbinsel vor etwa 170.000 Jahren liefern“, erklärt Bretzke. „Für diesen Zeitraum wird traditionell angenommen, dass er durch extreme Trockenheit gekennzeichnet war, die die Anwesenheit von Menschen verhindert haben muss. Wir glauben, dass das einzigartige Zusammenspiel von menschlicher Verhaltensflexibilität, den mosaikartigen Landschaften Südostarabiens und dem Auftreten kurzer feuchterer Perioden das Überleben dieser frühen Menschengruppen ermöglichte. Um die Einzelheiten dieses Zusammenspiels und die Entwicklung der Wechselbeziehungen zwischen Mensch und Umwelt zu untersuchen, sind der Jebel Faya und seine Umgebung das Schlüsselgebiet, und ich bin überzeugt, dass wir dort noch weitere Überraschungen erleben werden“.

Prof. Adrian Parker von der Oxford Brookes University, der die Rekonstruktion der Paläoumwelt leitete, stellte fest: „Unsere Daten stellen frühere Annahmen in Frage, wonach die menschliche Besiedlung der Region nur auf genau definierte feuchte Klimaphasen beschränkt war. Bei der Bewertung der menschlichen Besiedlung ist das Verständnis des Umweltkontextes von entscheidender Bedeutung. Die komplexen Wechselbeziehungen zwischen Mensch, Klima und Umwelt müssen aufgrund der Ergebnisse sorgfältig neu bewertet werden.“

Lumineszenzdatierung elementar für archäologische Forschung


Der Freiburger Geologe Frank Preusser, der die Phasen der menschlichen Besiedlung datierte, ergänzt: „Die Tatsache, dass die Lumineszenzdatierung ermöglicht, den Zeitpunkt der letzten Tageslichtexposition von in Sedimentschichten eingebetteten Quarzkörnern zu bestimmen, hat die archäologische Forschung revolutioniert. Die Studie vom Jebel Faya ist ein weiterer Meilenstein in der Erhellung der komplexen Geschichte unserer Spezies.“

Quelle:

Rimma Gerenstein

Hochschul- und Wissenschaftskommunikation


Albert-Ludwigs-Universität Freiburg im Breisgau

Wie sich Neandertaler an das Klima anpassten

Klimaveränderungen kurz vor ihrem Verschwinden lösten bei den späten Neandertalern in Europa eine komplexe Verhaltensänderung aus: Sie entwickelten ihre Werkzeuge weiter. 

Neandertaler lebten in einem Zeitraum von etwa 400.000 bis 40.000 Jahren in weiten Teilen Europas und des Nahen Ostens bis an den Rand Sibiriens. Werkzeuge stellten sie aus Holz und glasartigen Gesteinsmaterialien her, die sie zum Teil auch zu kombinierten, etwa um einen Speer mit einer scharfen und zugleich harten Spitze aus Stein zu versehen. Ab etwa 100.000 Jahren vor der heutigen Zeit war ihr Universalwerkzeug zum Schneiden und Schaben ein Messer aus Stein, bei dem der Griff bereits durch eine stumpfe Kante am Stück selber angelegt war. Solche sogenannten „Keilmesser“ gab es in verschiedenen Formen – und die Frage ist: Warum stellten Neandertaler ihre Messer auf so unterschiedliche Weise her? Benutzten sie die Messer für verschiedene Tätigkeiten oder stammen die Messer von verschiedenen Untergruppen der Neandertaler? Diese Thematik stand im Mittelpunkt des internationalen Forschungsprojekts.

Keilmesser als Antwort

„Keilmesser sind eine Reaktion auf die hochmobile Lebensweise während der ersten Hälfte der letzten Eiszeit. Sie ermöglichten durch Nachschärfen eine lange Nutzung und waren gleichzeitig ein Universalwerkzeug – fast wie ein Schweizer Survivalmesser“, sagt Prof. Dr. Thorsten Uthmeier vom Lehrstuhl für Ur- und Frühgeschichte der FAU. „Dabei wird aber oft vergessen, dass es nicht nur Keilmesser gab. Messer mit Rücken aus der Zeit der Neandertaler weisen eine überraschend große Variabilität auf“, ergänzt sein italienischer Kollege Dr. Davide Delpiano von der Sezione di Scienze Preistoriche e Antropologiche an der UNIFE. „Unsere Forschungen nutzen die Möglichkeiten der digitalen Analyse von 3D-Modellen, um auf statistischem Weg Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen den verschiedenen Messerformen herauszuarbeiten.“ Die beiden Wissenschaftler untersuchten Artefakte aus einer der wichtigsten Neandertaler-Fundstellen in Mittel-Europa, der Sesselfelsgrotte in Niederbayern. In der Grotte wurden bei Ausgrabungen durch den Lehrstuhl für Ur- und Frühgeschichte der FAU über 100.000 Artefakte und unzählige Jagdbeutereste des Neandertalers gefunden – sogar die Überreste einer Neandertaler-Bestattung konnten geborgen werden. Die wichtigsten messerartigen Werkzeuge analysierten die Forscher nun mit 3D-Scans, die in Kooperation mit Prof. Dr. Marc Stamminger und Dr. Frank Bauer vom Lehrstuhl für Informatik 9 (Graphische Datenverarbeitung) am Department Informatik der FAU angefertigt wurden. Sie ermöglichen eine millimetergenaue Aufzeichnung der Werkzeugform und -eigenschaften.

„Das technische Repertoire bei der Herstellung der Keilmesser ist nicht nur ein direkter Beweis für die hohen planerischen Fähigkeiten unserer ausgestorbenen Verwandten, sondern zugleich eine strategische Reaktion auf die Einschränkungen, die ihnen durch die Widrigkeiten der Natur auferlegt wurden“, sagt Uthmeier, FAU-Professor für Ältere Urgeschichte und Ökologie prähistorischer Jäger und Sammler.

Anderes Klima, andere Werkzeuge

Was Uthmeier als „Widrigkeiten der Natur“ bezeichnet, sind Klimaveränderungen nach dem Ende der letzten Warmzeit vor mehr als 100.000 Jahren. Besonders gravierende Kaltphasen während der darauffolgenden Weichsel-Kaltzeit begannen vor mehr als 60.000 Jahren und führten zu einer Verknappung der natürlichen Ressourcen. Um zu überleben, mussten die Neandertaler mobiler sein als zuvor – und ihre Werkzeuge anpassen.

Wahrscheinlich ahmten die Neandertaler die Funktionalität von unifazialen – also einseitig gestalteten – Messern mit Rücken nach und entwickelten auf dieser Grundlage die auf beiden Seiten behauenen, bifazial geformten Keilmesser. „Das zeigt sich insbesondere an Übereinstimmungen an der Schneide, die in beiden Fällen aus einer flachen Unterseite und einer konvexen Oberseite besteht und vor allem für Schneidaktivitäten mit Längsbewegung geeignet war – daher ist die Bezeichnung als Messer durchaus richtig “, sagt Davide Delpiano von der UNIFE.

Beide Messerarten – die älteren einfachen und die neu hinzukommenden, deutlich komplexeren Keilmesser – haben offensichtlich die gleiche Funktionalität. Der wichtigste Unterscheid zwischen den beiden untersuchten Werkzeugtypen ist die höhere Lebensdauer von Bifazial-Werkzeugen. Keilmesser repräsentieren daher ein Hightech-Konzept für ein langlebiges, multifunktionales Werkzeug, das ohne weitere Zusatzausstattung wie etwa einem Griff aus Holz benutzt werden konnte.

„Studien anderer Forschungsgruppen scheinen unsere Interpretation zu unterstützen“, sagt Uthmeier. „An einem Mangel an Innovationsfähigkeit oder planerischen Denkens, wie manchmal behauptet, kann das Verschwinden der Neandertaler jedenfalls nicht gelegen haben.“

Mehr Informationen zu den Forschungsergebnissen gibt es hier.

Quelle
Dr. Susanne Langer
Kommunikation und Presse
Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg