Bewegung und Raum konstituieren sich gegenseitig, denn Bewegung ist räumlich und ein Raum nur dann vollständig wahrnehmbar und erfahrbar, wenn man sich in ihm bewegt. Im architektonischen Raum sind Wege die Verbindung zwischen konkreten Orten. Ausgangspunkt, Verlauf, Zäsur, Orientierungsmarken, Abzweig, Kreuzung, Übergänge und Ziel sind die Grundelemente jeder Gestaltung von räumlichen Abfolgen. Während topologischen Modellen zumeist die Annahme zugrunde liegt, dass zwei Orte durch die kürzeste Verbindung, bzw. den Weg des geringsten Widerstandes miteinander verbunden sind, bemisst sich die Qualität eines architektonischen Weges nach kognitiven Gesichtspunkten, nach denen er zu erfahren ist: Länge, Bequemlichkeit, Abwechslung, Orientierung, Übersichtlichkeit und Zielführung. Hieraus ergibt sich das Erlebnis für denjenigen, der den gebauten Raum – suchend oder zielorientiert, in Eile oder promenierend – durchschreitet und schließlich an seinem Ziel ankommt.
Während raumzeitliche Konzepte für einige Epochen und Bauaufgaben relativ gut erforscht sind – für die Moderne zum Beispiel die Wegeführung und ihre Rolle für die Raumerfahrung in Le Corbusiers Villa Savoye, oder die Bedeutung der subjektiven Erfahrung und die Gestaltung von Architektur unter rhetorischen Gesichtspunkten für barocke Architektur – so wurde dies von der archäologischen Bauforschung bislang nur vereinzelt thematisiert. Als Beispiele wären hier die Überlegungen von Jens-Arne Dickmann zur räumlichen Erschließung pompejanischer Häuser, von Josef Maran zum Konzept des perforierten Raumes in mykenischen Palästen oder die Überlegungen zum Stadtraum von Pergamon von Felix Pirson zu nennen. Diese Fragen stellen sich aber auch für die Anlage von Wohnhäusern und Palästen anderer Epochen, für die Erschließung von Heiligtümern und Platzanlagen, die Raumfolgen von Thermen und Theatern, die Rhythmisierung von Basiliken und Kirchenanlagen sowie für die Gestaltung städtischer Räume. Zu fragen wären etwa:
In welcher Weise werden Volumen in den Raum gestellt und zueinander in Beziehung gesetzt, um Räume zu gestalten und Bewegungsabläufe zu lenken?
Wie werden Innenraum und Außenraum isoliert oder perforiert, um eine gegenseitige Durchdringung zu ermöglichen bzw. zu verhindern, um so Wege durch den Raum zu strukturieren?
Mit welchen gestalterischen Mitteln wird Bewegung in Räumen be- und entschleunigt, gefördert oder in sonstiger Weise beeinflusst?
In welchem Zusammenhang stehen Nutzungs- und Bewegungskonzepte unterschiedlicher Anlagen?
Das Architekturreferat des DAI lädt dazu ein, Studien zu diesem Fragenkomplex im Rahmen der 11. Diskussionen zur Archäologischen Bauforschung zu präsentieren. Anhand von konkreten baulichen Befunden soll untersucht werden, wie Wege im gebauten Raum durch Steuerung von Zugänglichkeit, Bewegungsmöglichkeit, Visibilität sowie Raumrhythmisierung gestaltet wurden. Durch die Rekonstruktion architektonischer Bildfolgen auf der Grundlage bauforscherischer Methoden sollen Anhaltspunkte für die konkreten Raumerfahrungen gesucht werden, die mit dem Durchschreiten durch den gestalteten Raum zu verbinden sind. Der Fokus ist dabei nicht auf die antike Architektur begrenzt, vielmehr wird auch ein Vergleich mit architektonischen Konzepten anderer Epochen und Kulturkreise angestrebt.
Das Kolloquium steht allen Interessierten offen und ist kostenlos.
Veranstaltungsort: 8.-11. Februar 2012 in Berlin, Fritz-Kolbe-Saal im Auswärtigen Amt und Theodor-Wiegand-Saal im Pergamonmuseum
Weitere Informationen zum Programm finden Sie hier.
Quelle:
Nicole Kehrer
Pressestelle
Deutsches Archäologisches Institut