Erstmalig 14.000 Jahre alter Siedlungsplatz an der Westküste der Türkei entdeckt

Bei einer Rettungsgrabung des Deutschen Archäologischen Instituts in der Provinz Izmir wurden zwischen den modernen Orten Dikili und Bergama (UNESCO-Welterbestätte Pergamon-Bergama) in einer Höhle erstmalig Schichten aus der Nach-Altsteinzeit (Epipaläolithikum) entdeckt. Sie werden von einem antiken Heiligtum der anatolischen Muttergottheit Meter-Kybele überlagert. Als bedeutendes Naturmal wurde der Ort auch in den folgenden byzantinischen und islamischen Epochen aufgesucht, bevor er in Vergessenheit geriet.

Das Territorium der heutigen Türkei war in der Geschichte immer wieder Ort bedeutender Entwicklungen und Ereignisse an der Schnittstelle zwischen Ost und West. Zuletzt haben die Funde vom Göbekli Tepe im oberen Zweistromland besondere Aufmerksamkeit erregt. Dort entstanden im 10. Jahrtausend v. Chr. erste Monumentalarchitekturen und Bildwerke. Im Vergleich zur Epoche der Jungsteinzeit (Neolithikum), in dessen Frühphase der Göbekli Tepe gehört, sind die älteren Phasen der Menschheitsgeschichte (Paläolithikum bzw. Altsteinzeit) weniger gut bekannt. So konnten bislang nur in der Süd- und Südosttürkei einige wenige Fundplätze dieser Zeitstellung ausgegraben werden. Im Westen Anatoliens, d. h. in der Kontaktzone der Ägäis und am Übergang nach Europa, klaffte hingegen eine Lücke im sicheren Nachweis des Paläolithikums und seiner Übergangsphasen zur Jungsteinzeit.

Ausgrabungen im Inneren der Höhle (Deutsches Archäologisches Institut/Eşref Erbil)


Umso überraschender war es, als im Herbst 2020 im Rahmen eines archäologischen Surveys der DAI-Pergamongrabung in einer Höhle zwischen den modernen Orten Dikili und Bergama (Pergamon) Schichten aus der Nach-Altsteinzeit (Epipaläolithikum) entdeckt wurden, die etwa 14.000 Jahre alt sind. Erste Horizonte mit Steinwerkzeugen und Knochen konnten dokumentiert werden, deren Alter sich mithilfe der Radiokarbon-Methode sowie der Untersuchung der Steingeräte präzise bestimmen ließ.
Um diesen bedeutenden Fundort genauer zu erforschen und die archäologischen Daten zu sichern, wurde mit Unterstützung des Ministeriums für Kultur und Tourismus der Türkei und unter Leitung des Museums Bergama im Herbst 2021 eine sechswöchige Rettungsgrabung durchgeführt, an denen neben der DAI-Pergamongrabung auch Spezialist*innen der Universität Ankara beteiligt waren. Das türkisch-deutsche Team konnte in und vor der Höhle zunächst jüngere Schichten freilegen, die von der Nutzung des spektakulär gelegenen Platzes als Heiligtum der anatolischen Muttergottheit Meter-Kybele vom ca. 6. Jh. v. Chr. bis in die römische Kaiserzeit hinein zeugen. Das jüngste Fundmaterial umfasst die byzantinische und islamische Zeit. Berücksichtigt man die Abgeschiedenheit des nur mit Mühe zu Fuß erreichbaren Ortes, so sprechen diese Funde für eine bemerkenswerte Kontinuität in der Verbundenheit der Menschen mit diesem außergewöhnlichen Naturmal über die Grenzen von Epochen und Religionen hinweg.

rabungen am Eingang der Höhle (Deutsches Archäologisches Institut/Eşref Erbil)

Unter den Resten des Heiligtums folgten zunächst Schichten offenbar aus der Bronzezeit (ca. 3.-2. Jt. v. Chr.), deren präzise Datierung und Deutung aber noch ausstehen. Im Epipaläolithikum diente die kleine Höhle als saisonale Wohn- und Produktionsstätte für eine Gruppe von Jägern und Sammlern, wovon neben zahlreichen Tierknochen auch Rohmaterialien für die Werkzeugherstellung und halbfertige Stücke zeugen. Als Rohstoffe dienten offenbar Feuersteine aus dem Bett des Flusses, der direkt vor der Höhle verläuft. Die weitere Auswertung der Rettungsgrabung wird sich unter anderem mit der Frage beschäftigen, warum die Menschen gerade diesen Platz als Camp auswählten und ob es Indizien für Beziehungen nach Inneranatolien, in die Ägäis und das festländische Griechenland hinein gibt. In späterer Zeit spielten solche Beziehungen eine wichtige Rolle, wie unter anderem Scherben rotfiguriger Keramik aus Athen zeigen. Lage und Fundmaterial sprechen überdies für Beziehungen zur Insel Lesbos, zu deren festländischem Besitz (Peraia) das Gebiet in vorhellenistischer Zeit gehörte.
Die Arbeiten finden im Rahmen des von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Projektes „Die Transformation der Mikroregion Pergamon zwischen Hellenismus und Römischer Kaiserzeit“ statt. An der Rettungsgrabung und ihrer ersten Auswertung waren neben den bereits erwähnten Partnern Kolleg*innen der Celal Bayar Üniversitesi Manisa, der Sinop Üniversitesi, der Freien Universität Berlin sowie des TÜBITAK Marmara Forschungszentrums beteiligt.

Quelle:

Nicole Kehrer Pressestelle
Deutsches Archäologisches Institut

Neandertaler starben vor spätestens 39.000 Jahren aus

Internationales Forscherteam unter Beteiligung der Universität Tübingen überprüft Datierungen europäischer Funde und erstellt ein Modell der zeitlichen Abläufe in der Altsteinzeit.

Die letzten Neandertaler sind vor spätestens 39.000 Jahren ausgestorben. Zu diesem Ergebnis kommt ein internationales Forscherteam, an dem Wissenschaftler der Universität Tübingen beteiligt waren. „Das Verschwinden der Neandertaler muss früher angesetzt werden“, sagt Professor Nicholas Conard von der Abteilung Ältere Urgeschichte und Quartärökologie der Universität Tübingen. Auch für die bisherige Annahme, dass Neandertaler im Süden der Iberischen Halbinsel besonders lange überlebt hätten, ließen sich bei erneuter Prüfung keine Hinweise finden. Die Ergebnisse der Studie werden in der aktuellen Ausgabe der Fachzeitschrift „Nature“ veröffentlicht.

Seit vielen Jahren ist sich die Forschung einig, dass anatomisch moderne Menschen, von denen alle heute lebenden Menschen abstammen, und Neandertaler eine Zeit lang nebeneinander existierten. Doch wie viel Zeit und Möglichkeiten zur Begegnung die beiden Menschenarten hatten und wann die Neandertaler ausgestorben sind, stellt die Wissenschaft vor viele Rätsel. Dies liegt auch daran, dass die Radiokohlenstoffdatierung der archäologischen Funde bei Proben mit einem Alter um etwa 50.000 Jahre ihre verlässlichen Grenzen erreicht – ausgerechnet in dem Zeitraum, auf den es für die Klärung der Abläufe ankommt. Ein großes internationales Forscherteam hat nun von zahlreichen europäischen Fundstellen aus der Altsteinzeit Momentaufnahmen zusammengetragen, frühere Datierungen mit einer genaueren Methode überprüft und daraus ein, wenn auch lückenhaftes, Gesamtbild zusammengefügt. Die Ergebnisse der Studie sprechen geografisch wie auch zeitlich für eine mosaikartige Verteilung der letzten Neandertaler in Europa.

Im europäischen Mittelmeerraum tauchten die ersten anatomisch modernen Menschen vor 45.000 bis 43.000 Jahren auf. Offenbar verdrängten diese Einwanderer die europäischen Neandertaler aber nicht gleich überall bei ihrer Ankunft. Die Forscher gehen davon aus, dass sich die Lebenszeiten der letzten Neandertaler und der eingewanderten anatomisch modernen Menschen in Europa über einen Zeitraum von 2.600 bis 5.400 Jahren überschnitten. Die Zeit habe ausgereicht, dass Neandertaler Kenntnisse von modernen Menschen übernehmen konnten. Das Bild der Koexistenz sei komplex und ergebe ein mosaikartiges Muster.

Das Forscherteam bezog 40 archäologische Schlüsselfundstellen von Russland bis Spanien in ihre Studie ein. Die Datierung zahlreicher Funde wurde mithilfe der Beschleuniger-Massenspektrometrie nachuntersucht, die genauere Messungen zulässt als die Radiokohlenstoffdatierung. Es zeigte sich, dass mit den bisherigen Methoden und aufgrund von Verunreinigung der Proben das Alter von steinzeitlichen Überresten häufig bis zu mehrere Tausend Jahre unterschätzt worden war. „Das altsteinzeitliche Europa ist das beste Gebiet, um die Verdrängung der Neandertaler durch anatomisch moderne Menschen zu untersuchen, hier gibt es viele bereits gut untersuchte Fundstellen“, erklärt Nicholas Conard. Das Forscherteam untersuchte drei steinzeitliche Kulturformen, die sich jeweils durch ihre Steinwerkzeuge unterscheiden: das Moustérien und das in Frankreich sowie Nordspanien beschriebene Châtelperronien, die Neandertalern zugeordnet werden, sowie die Uluzzien-Kultur, die auf der italienischen Halbinsel und Südgriechenland zu beobachten war und deren Produkte dem modernen Menschen zugeschrieben werden.

Sicher ist, dass es außerhalb von Afrika einen Austausch von Genmaterial zwischen Neandertalern und anatomisch modernen Menschen gegeben hat. Noch heute finden sich einige Neandertalergene im Erbgut von Nichtafrikanern. Wann und wo außerhalb Afrikas sich die beiden Menschengruppen zusammenfanden, bevor die Neandertaler verschwanden, konnte bisher nicht näher bestimmt werden. Das Forscherteam entwickelte aus den neuen Messdaten der Beschleuniger-Massenspektrometrie ein Modell der Zeitabläufe: Danach wurde das Moustérien an verschiedenen Orten zu verschiedenen Zeiten von anderen Industrien wie zum Beispiel dem Châtelperronien beziehungsweise der Uluzzien-Kultur abgelöst. Die Forscher sind sich jedenfalls sicher, dass spätestens seit 39.000 Jahren vor heute keine Neandertaler mehr lebten.

Mehr Infos zu den Forschungsergebnissen über den Neandertaler gibt es hier.

Quelle:

Dr. Karl Guido Rijkhoek
Hochschulkommunikation
Eberhard Karls Universität Tübingen