Ihre Arbeitsgebiete sind die Archäologie, Byzantinistik, Geschichtswissenschaft und Kunstgeschichte: Fünf von der Gerda Henkel Stiftung geförderte Projektgruppen haben ihre Arbeit gefilmt. Entstanden sind professionell geschnittene Videofilme, die Grabungsfortschritte, die geduldige Suche nach Sachzeugen oder den langen Weg von der Forschung zur Ausstellung nachvollziehbar machen. Die Filme werden episodenweise in L.I.S.A. – dem Wissenschaftsportal der Gerda Henkel Stiftung veröffentlicht. Die erste Folge ist dort ab sofort unter der Rubrik L.I.S.A.video abrufbar.
Nach einer ersten Staffel von Wissenschaftsfilmen, die bis heute rund eine Million Mal angeklickt wurden, setzt die Gerda Henkel Stiftung damit ihre Filmreihe mit Partnern aus der Wissenschaft fort.
„Mit den Filmen möchten wir eine breitere Öffentlichkeit einladen, sich ein möglichst authentisches Bild von Wissenschaftlern und ihrer täglichen Projektarbeit zu machen“, so Dr. Angela Kühnen, Mitglied des Vorstands der Gerda Henkel Stiftung. „Die Frage, wie sich geisteswissenschaftliche Forschung darstellen lässt, kann je nach Disziplin und Thema unterschiedlich beantwortet werden. Wir haben daher für die zweite Staffel von L.I.S.A.video bewusst eine sehr offene Form gewählt“. Fünf „erzählende“ Episoden dokumentieren den Forschungsprozess. Vier weitere Folgen sind jeweils einem Forschergespräch, einem Teamporträt, dem wissenschaftlichen Umfeld und einem relevanten Objekt, dem „Schlüsselstück“, gewidmet. Ein Team um den Autor, Regisseur und Produzenten Peter Prestel hat die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler bei ihrer Arbeit hinter der Kamera unterstützt.
Die Projekte
Dr. Brigitte Franzen/Dr. Annette Lagler, Ludwig Forum für Internationale Kunst:
„Nie wieder störungsfrei! Aachen Avantgarde seit 1964“
Prof. Dr. Franz Alto Bauer, Ludwig-Maximilians-Universität München, Institut für Byzantinistik, Byzantinische Kunstgeschichte und Neogräzistik
Prof. Dr. Holger Klein, Columbia University, Art History and Archaeology:
„Die Akropolis von Vize“ (Türkei)
Dr. Birgit Dalbajewa, Galerie Neue Meister, Staatliche Kunstsammlungen Dresden:
„Die Neue Sachlichkeit in Dresden“
Thomas T. Müller, Mühlhäuser Museen:
„Alltag und Frömmigkeit am Vorabend der Reformation. Ein Projekt zur Erschließung von Sachzeugen zur alltäglichen Frömmigkeitspraxis in Mitteldeutschland“
Prof. Dr. Dr. h.c. Wolf-Dietrich Niemeier, Deutsches Archäologisches Institut, Abteilung Athen:
„Ausgrabungen in Kalapodi, Griechenland“
Gerda Henkel Stiftung
Die Gerda Henkel Stiftung wurde 1976 von Frau Lisa Maskell (1914–1998) zum Gedenken an ihre Mutter Gerda Henkel in Düsseldorf errichtet. Ausschließlicher Stiftungszweck ist die Förderung der Wissenschaft. Die Stiftung ist in Deutschland und international tätig und hat seit ihrer Gründung weltweit knapp 6.000 Forschungsvorhaben mit rund 100 Millionen Euro unterstützt. Im Jahr 2009 nahm die Gerda Henkel Stiftung die Popularität historischer Sujets zum Anlass, einen Förderschwerpunkt „Geschichte zwischen Literatur, Film und Wissenschaft“ aufzulegen. Ziel der Initiative ist es, Historiker und erfahrene Praktiker miteinander ins Gespräch zu bringen – über die Interaktion zwischen wissenschaftlichen und populären Darstellungsformen, formale und inhaltliche Trends ihrer Arbeit und die Zukunft filmischer und literarischer Umsetzungen. Die Stiftung schreibt den Themenbereich nicht aus, sondern initiiert eigene Projekte und beteiligt sich an ausgewählten Kooperationen.
Mein zweiter Besuch in Wien: Eine organisatorische Herausforderung. Viel Recherche und noch mehr Emails gingen dieser Reise voraus. Da mag sich mancher fragen: Ob die nicht weiß, wie einfach es ist, in Wien unterwegs zu sein? Wenn man genug vom Stephansdom gesehen hat, fährt man mit dem Fiaker weiter zur Hofburg. Wenn man lang genug im Sisi Museum war, spaziert man zum Cafe Demel und trinkt eine Melange. Dem stimme ich zu: Wien ist ein touristisch bestens erschlossenes Gebiet.Warum also eine Reise planen, wenn die Dame in der nächsten Touristeninformation zehn Orte auf einmal vorschlagen kann, die es sich zu besichtigen lohnt? All das hätte mir aber nicht weitergeholfen. Für die Räume, die ich sehen wollte, gibt es keine Informationsbroschüren. Meine Reiseziele lagen fernab von Fiakern und Marilleneis. Ich wollte in die Unterwelt Wiens.
Meine Reise hätte niemals funktioniert, wenn ich nicht mit den Unterwelten-Experten von Wien Kontakt aufgenommen hätte. Sie allein wissen, wo die Eingänge in das unterirdische Reich liegen und wie sich verschlossene Türen zur Unterwelt öffnen lassen.
Die Geschichte der Kellerräume beginnt im Mittelalter: Damals hoben die Wiener hier unten Nahrungsmittel und Wein auf. Während der Türkenbelagerung im 16. Jahrhundert dienten die unterirdischen Räume als Munitionslager und Schutzräume. Im zweiten Weltkrieg schließlich wurden die Keller zu Luftschutzkellern umgebaut und mit Gängen untereinander verbunden. Während dieser Zeit bildeten die verbundenen Keller der Innenstadt ein wahres Labyrinth, in dem man stundenlang laufen konnte.
Auf meiner Reise begleitete mich zunächst Gabriele Lukacs. Sie führte mich hinab in die mehrstöckigen Keller Wiens. Einer der tiefsten Keller liegt in einem Eckhaus Kramergasse 11 / Ertlgasse 4. Innerhalb der vier Stockwerke bekam ich nicht nur römische Torreste der römischen Porta Dextra zu sehen, sondern auch einen mittelalterlichen Brunnen. Hier, wie auch in einigen anderen Kellern, die Frau Lukacs mir zeigte, überraschten mich vor allem die vielen Gänge, die von den Kellern abzweigen und einst zu anderen Kellern hinführten. Die meisten sind mittlerweile entweder direkt im Kellerraum selbst oder schon nach wenigen Metern zugemauert.
Keller in Wien
Gespannt wartete ich am folgenden Tag auf den Unterwelt-Experten und Fotografen Robert Bouchal. Ich wusste nicht, wo es hingehen würde. Er schrieb mir nur zuvor, dass ich mich sportlich kleiden sollte – ich könnte nämlich schmutzig werden. Das klang abenteuerlich! Und so war es dann auch.
Erst stiegen wir in einen ehemaligen Luftschutzkeller. Mir fielen breite weiße Streifen auf Augenhöhe an den Wänden auf. Wenn man die Streifen mit der Taschenlampe beleuchtet, erstrahlen sie auch jetzt noch in Neon-grün und weisen in der Dunkelheit den Weg zu den einzelnen Räumen. Auf dem Boden lagen achtlos verstreut altmodische Reisekoffer und Truhen. Ich glaubte, in einer Zeitkapsel zu stehen. Herr Bouchal zeigte auf einen Stapel gelbliches Papier mit vielen Kreisen darauf und dem Wort „Reichsarbeitsdienst“. Die Ringscheiben aus der NS-Zeit lagen hier einfach so zwischen Kohlehaufen und Schutt. Seit fast 70 Jahren. Unfassbar.
Ringscheibe aus dem Zweiten Weltkrieg
Im völligen Gegensatz zu dieser Besichtigung stand unser nächstes Reiseziel: Die Seegrotte Hinterbrühl, ein ehemaliges Gipsbergwerk. Im Jahr 1912 brach Wasser in das Gipsbergwerk ein und es bildete sich ein riesiger See. Während des Zweiten Weltkrieges legten die deutschen Heinkel-Werke alles trocken und errichteten in den ausgedehnten Gängen der Seegrotte eine Flugzeugfabrik. Nach dem Krieg wurde die Grotte wieder langsam mit Wasser gefüllt. Heute lockt der 6.200 m² große unterirdische See täglich Menschenmassen an. So fühlte ich mich wenigstens einmal an diesem Wochenende wie ein normaler Tourist, als wir vor dem Eingang anstanden – umrahmt von kitschigen Schlüsselanhängern und Postkarten. Das Warten lohnte sich. Durch einen schmalen Gang liefen wir hinab zum See, vorbei an Resten alter Flugzeugmodelle und Grubenlampen. Am See angekommen, fuhren wir in einem Boot durch die Grotte mit ihrem klaren, grün-blauen Wasser.
In der Seegrotte
Zuletzt zeigte mir Herr Bouchal eine seiner aktuellen Forschungsstätten – einen ehemaligen Luftschutzstollen, der Höhepunkt meiner gesamten Reise. Mit Helmen ausgerüstet stiegen wir über eine schmale Leiter einige Meter hinauf in einen Felsen. An den Seiten des Stollens liegen noch heute zusammengefallene Holzbänke, an der Decke hängen die Halterungen für das einstige Luftrohr. Neben Essensbüchsen fand das Forschungsteam hier auch Kinderschuhe, und zwei Eimer, die als Aborte dienten.
Immer wieder musste ich mich ducken, um nicht an die kantige Decke zu stoßen. Die niedrige Höhe des Stollens und die Enge gaben mir bald ein beklemmendes Gefühl. Wie mag es erst für die Menschen gewesen sein, die vor Jahrzehnten in diesem Raum nebeneinander saßen, um sich vor den Luftangriffen zu schützen?
Ehemaliger Luftschutzstollen
An meinem letzten Tag in Wien traf ich Dr. Marcello La Speranza. Der Historiker hat sich auf die Neuzeitliche Archäologie spezialisiert. Und so traf ich mich mit ihm an einem verregneten Vormittag vor dem Erinnerungsbunker im Arne-Carlsson-Park. Viele Jahre lang schimmelte und rostete der Bunker vor sich hin, bis die Stadt Wien endlich notwendige Sanierungsarbeiten finanzierte. Trotzdem tropft das Wasser auch jetzt noch in manchen Räumen von der Decke. Schüler realisierten in den Räumen des Tiefbunkers eine thematisch passende Ausstellung. Dr. La Speranza richtete einige der Räume mit originalen Gegenständen aus der Zeit des Krieges ein.
Tiefbunker im Arne-Carlsson-Park
Später besuchten wir noch den Flakturm im Esterházy-Park. Heute schwimmen hier Haie neben Quallen und Schildkröten, Ameisen krabbeln durch Röhren, Nashornvögel fliegen vorbei an kleinen Äffchen – und das auf mehreren Stockwerken verteilt! Der Turm wurde zum Zoo ausgebaut, zum sogenannten „Haus des Meeres“. Ganz oben, im 10. Stockwerk, konnte Dr. La Speranza einen nachgestellten „Kommandoraum“ einrichten. Die vielfältige Nachnutzung der Bauten des Zweiten Weltkrieges, die Verbindung einer neuen mit einer alten Welt, wie es vor allem im Haus des Meeres geschieht, hält Dr. La Speranza für sehr wichtig. Das Gebäude wird dadurch sozusagen „entgiftet“. An diesem Tag wie auch auf der gesamten Reise erfuhr ich vor allem eines: Um aus Geschichte zu lernen, darf man sie nicht ausblenden. Man muss Geschichte aktiv aufarbeiten und sich an sie erinnern. Dazu gehören eben auch jene Denkmäler, die sich bis heute verborgen unter der Oberfläche erhalten haben.
Wer sich für die Unterwelt Wiens interessiert, dem empfehle ich vor allem zwei Bücher:
Robert Bouchal, Marcello La Speranza: Wien – Die letzten Spuren des Krieges: Relikte & Entdeckungen. Pichler Verlag 2012
Marcello La Speranza und Robert Bouchal ist ein sehr informatives Buch zu den Ruinen, Luftschutzkellern, Stollen- und Bunkeranlagen in Wien während des Zweiten Weltkrieges gelungen. Sie stellen nicht nur die Orte vor, sondern betten diese auch in die jeweiligen geschichtlichen Ereignisse ein. Sehr gute Fotos und Pläne vermitteln dem Leser von diesen schwer zugänglichen Orten einen hervorragenden Eindruck.
Robert Bouchal, Gabriele Lukacs: Geheimnisvolle Unterwelt von Wien: Keller – Labyrinthe – Fremde Welten. Pichler Verlag 2011.
Gabriele Lukacs und Robert Bouchal stellen unbekannte Keller, Gänge und Tunnel unter Wien vor, dabei u. a. unter der Hofburg und den Klosteranlagen. Einige Rätsel um Geheimgänge, Grüfte, Katakomben bleiben ungeklärt – und genau das macht dieses Thema so spannend. Obwohl man meinen würde, dass hier unten – in der Dunkelheit – gute Fotos besonders schwer zu machen sind, überzeugen die auffallend schönen Illustrationen des Buches.
Ein internationales Forscherteam mit Berner Beteiligung hat in Israel einzigartige Funde in einer Synagoge aus byzantinischer Zeit gemacht. Die Funde belegen die Wichtigkeit von Synagogen als Zentren des damaligen religiösen und sozialen Lebens.
In Horvat Kur, einem galiläischen Dorf in der Nähe des Sees Gennesaret in Israel, entdeckte ein internationales Team von Spezialisten und Studierenden 2010 eine antike Synagoge. Sie stammt aus dem 4. bis 5. Jahrhundert nach Christus. Nun vermeldet das Grabungs-Team, welchem auch Berner Forschende und Studierende angehören, einen neuen Erfolg: Erstmals wurden diverse Funde in einer einzigartigen Konstellation entdeckt – zum Beispiel Haushaltskeramik aus spätrömischer und frühbyzantinischer Zeit (4./5. Jh. n. Chr.).
Der bedeutendste Fund ist gemäss dem internationalen Grabungsteam ein Basaltstein, welcher einer früheren Phase in der Baugeschichte der Synagoge angehörte. Der Stein hat die Form eines niedrigen Tisches und ist mit figurativen und geometrischen Mustern verziert. Seine Funktion ist unklar: Diente er als Lesepult für die geöffnete Schriftrolle, vor welcher der Vorleser kniete, oder war er Unterlage für ein hölzernes Pult, hinter dem der Vorleser stand und rezitierte? Der Stein könnte noch eine ganz andere Rolle gespielt haben in der synagogalen Praxis. Die genaue Analyse der Verzierung soll darüber nähere Aufschlüsse geben.
Im Synagogen-Innenraum wurde zudem ein Steinsitz freigelegt. Der Sitz war in einer Bank entlang der Südmauer der Synagoge eingebaut und über zwei Stufen zugänglich. «Dieser Sitz wurde vermutlich vom Leiter der Gemeinschaft anlässlich von Versammlungen genutzt. Es ist der erste solche Sitz, der je in Israel in situ, das heisst in Originalposition, gefunden worden ist», sagt Stefan Münger vom Berner Institut für Judaistik und Co-Direktor des Ausgrabungsprojekts.
Ebenfalls an der – nach Jerusalem gerichteten – Südmauer fanden die Archäologinnen und Archäologen die Reste eines ehemals reich verzierten Podiums (einer sogenannten «Bemah»), auf welchem ursprünglich der Thoraschrein gestanden hatte. Zu den Dekorationselementen gehören unter anderem die Reste eines Löwenreliefs und einer Rosette aus Kalkstein.
«All diese Funde zeigen die Bedeutung der Synagoge als Zentrum des religiösen und sozialen Lebens», sagt Münger, «denn kein anderes Gebäude in der umliegenden Siedlung weist auch nur annähernd ähnliche Struktur- oder Dekorationsmerkmale auf.»
In einer versiegelten Zisterne nahe der Synagoge wurde ausserdem eine grosse Anzahl an intakten Gefässen der spätrömischen beziehungsweise frühbyzantinischen Zeit (4./5. Jh. n. Chr.) gefunden. Darunter befinden sich viele Gefässtypen, die bisher noch nie komplett gefunden worden sind.
All diese neuen Entdeckungen werden laut den Forschenden erheblich zum Verständnis der Kulturgeschichte des galiläischen Synagogenbaus während der byzantinischen Zeit beitragen und neue Perspektiven für die Synagogenfoschung allgemein eröffnen. Die neuen Funde werden im November anlässlich eines Kolloquiums in Deutschland vorgestellt und eine Ausstellung im «Israel Museum» in Jerusalem ist derzeit in Vorbereitung.
Die Ausgrabungen auf Horvat Kur sind Teil des «Kinneret Regional Project» und werden von einem gemeinsamen Forschungsteam der Universitäten Bern, Helsinki, Leiden und des Wofford College (USA) durchgeführt. Forschende und Studierende dieser Universitäten sowie Studierende und Experten aus Belgien, Deutschland, Grossbritannien, Israel sowie Rumänien nahmen an der diesjährigen Ausgrabung teil.
Unter dem Titel „Russische Museen im Zweiten Weltkrieg“ startet ein großangelegtes deutsch-russisches Forschungsprojekt zu Verlusten wertvoller Kunstwerke und Kulturgüter russischer Museen im Zweiten Weltkrieg.
Die russischen Museen erlitten im Zweiten Weltkrieg hohe Verluste durch Zerstörung und Abtransport Hunderttausender wertvoller Kunstwerke und Kulturgüter während des deutschen Eroberungskriegs. Das Ausmaß der Verluste wird dokumentiert in den Verlustkatalogen, die das russische Kulturministerium seit 1999 herausgibt. Bis heute jedoch lässt die Erforschung der Geschichte der Museen und des Schicksals ihrer Sammlungen im Krieg viele Fragen offen, nach der Mehrzahl der Objekte wird bis heute gesucht. Vor diesem Hintergrund will das großangelegte wissenschaftliche Projekt der Kulturstiftung der Länder und der Stiftung Preußischer Kulturbesitz in Kooperation von deutschen und russischen Wissenschaftlern anhand exemplarischer Fälle versuchen, die bestehenden Forschungslücken zu schließen. Die Partner freuen sich über die Förderzusage der VolkswagenStiftung, die das Projekt zu 75 Prozent finanziert. Die Kulturstiftung der Länder und die Stiftung Preußischer Kulturbesitz steuern aus Eigenmitteln zusammen 25 Prozent für das Forschungsvorhaben bei, das ein Volumen von rund 800.000 Euro hat und auf eine Dauer von zweieinhalb Jahren angelegt ist.
Das Projekt betritt inhaltlich und strukturell Neuland in der bilateralen Museumsforschung – das Forscherteam wird aus Historikern und Kunsthistorikern beider Länder bestehen. Mit den zunächst ausgewählten Museen – den Museumsstädten Nowgorod und Pskow sowie den Zarenschlössern Zarskoe Selo, Peterhof, Gatschina und Pawlowsk – ist bereits eine enge Kooperation vereinbart. Ziel ist es, in Fallstudien einen Beitrag zur Geschichte der Kulturgüter im Krieg aus der musealen Perspektive zu leisten. Damit eröffnet sich für die russischen Museen erstmalig die Möglichkeit, das Schicksal ihrer Häuser und Sammlungen während des Krieges in einer komplementären und systematischen Auswertung deutscher und russischer Aktenbestände zu untersuchen, ergänzt um Archivalien der westlichen Alliierten.
In den Untersuchungszeitraum (1941 bis 1950er Jahre) werden über die Zäsur von 1945 hinaus auch die unmittelbaren Nachkriegsjahre einbezogen, um erste Rekonstruktionsversuche der Museen und ihrer Sammlungen mit in den Blick zu nehmen. Die Fallstudien sollen in zwei Bänden (jeweils in russischer und deutscher Sprache) publiziert werden. Die wissenschaftliche Leitung liegt bei Prof. Dr. Wolfgang Eichwede (emeritierter Professor für Politik und Zeitgeschichte sowie Gründungsdirektor der Forschungsstelle Osteuropa an der Universität Bremen), die Projektleitung bei Dr. Britta Kaiser-Schuster, Dezernentin der Kulturstiftung der Länder. Dem Projekt steht ein deutsch-russischer Fachbeirat zur Seite.
Im Fachbeirat werden Prof. Dr. Hermann Parzinger (Vorsitz), Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Prof. Dr. Michail B. Piotrowski, Direktor der Staatlichen Eremitage St. Petersburg, Isabel Pfeiffer-Poensgen, Generalsekretärin der Kulturstiftung der Länder, Prof. Dr. Wolfgang Eichwede, Universität Bremen, sowie Vertreter der staatlichen Archive mitwirken.
Isabel Pfeiffer-Poensgen, Generalsekretärin der Kulturstiftung der Länder, erklärte in Berlin: „Dank der Unterstützung durch die VolkswagenStiftung erhoffen wir uns mit dem neuen Forschungsprojekt Klarheit über den Verbleib zahlreicher Kunstschätze, die seit Kriegsende verschollen sind. Wir freuen uns, gemeinsam mit den russischen Wissenschaftlern neue Quellenforschungen zu den Kriegsverlusten russischer Museen beginnen zu können. Uns war es ein besonderes Anliegen, neben unseren schon vor einiger Zeit begonnenen Recherchen zu kriegsbedingt verlagerten Kunstwerken und Kulturgütern deutscher Museen, den Fokus ebenso auf die russischen Verluste zu richten.“
Hermann Parzinger, Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz und Sprecher des Deutsch-Russischen Museumsdialogs, sagte dazu: „Das über Jahre gewachsene Netzwerk zwischen deutschen und russischen Museumsexperten wird durch dieses wissenschaftliche Projekt zu dem für beide Seiten höchst sensiblen Thema der Folgen des Zweiten Weltkrieges für den Kulturbereich auf das Beste sichtbar. Die Unterstützung durch die VolkswagenStiftung verdient großen Dank und hohe Anerkennung, ohne dieses Engagement könnte das wichtige Forschungsvorhaben nicht durchgeführt werden.“
Die Kustoden der beteiligten russischen Museen erklärten: „Unsere Erwartung ist groß, auf diese Weise nicht nur zu neuen historischen Einsichten zu gelangen, sondern auch Spuren zu finden, wo einzelne Kunstwerke geblieben sein können. Trotz der Registratur der Verluste und eigener Recherchen sind wir noch immer auf Vermutungen und Spekulationen angewiesen. Daher kommt das Projekt einem Durchbruch gleich.“
Über 80 deutsche Museen, die bis heute von kriegsbedingt verlagerten Kunst- und Kulturgüterverlusten betroffen sind, haben im November 2005 in Berlin die Initiative „Deutsch-Russischer Museumsdialog“ gegründet, die ihre Interessen intern und extern fachlich vertritt. Ziel des Deutsch-Russischen Museumsdialogs ist es, Kooperationen zwischen Wissenschaftlern beider Länder in gemeinsamen Vorhaben zu intensivieren. Damit soll nicht nur Aufklärung über die Verluste in Deutschland und Russland erzielt werden, sondern vor allem auch Vertrauen zwischen den deutschen und russischen Fachkollegen geschaffen werden – frei von politischen und juristischen Überlegungen, die diese Diskussion sonst häufig überlagern.