7000 Jahre altes Getreide verrät Ursprung der Schweizer Pfahlbauten

Nirgendwo sonst sind so viele jungsteinzeitliche Pfahlbausiedlungen bekannt wie rund um die Alpen. Wie dieser spezielle Bauboom seinen Anfang nahm, ist jedoch rätselhaft. Forschende der Universität Basel haben nun neue Hinweise aufgedeckt: Eine Hauptrolle könnten Siedler am Varese-See in Norditalien gespielt haben.

Als Arbeiter Mitte des 19. Jahrhunderts die erste Pfahlbausiedlung am Zürichsee entdeckten, nahm ein ganzer archäologischer Forschungszweig seinen Anfang. Mittlerweile gehören 111 Pfahlbaudörfer im Alpenraum zum UNESCO-Weltkulturerbe. Woher diese einzigartige Bauweise kam, war bisher jedoch unklar. Fachkreise gingen bis vor einigen Jahren davon aus, dass es sich um ein lokales Phänomen handelte.


Überreste von Nutzpflanzen aus der Jungsteinzeit – hier Nacktgerste und Nacktweizen – deuten auf Verbindungen zwischen geografisch weit entfernten Siedlungen hin. (Foto: Raül Soteras)


Forschende um Prof. Dr. Ferran Antolín vom Fachbereich Integrative Prähistorische und Naturwissenschaftlichen Archäologie (IPNA) der Universität Basel liefern nun jedoch neue Hinweise, wie die Pfahlbaukultur in die Gebiete nördlich der Alpen kam. Prähistorische Pflanzenreste aus einer Siedlung vom Lago di Varese in Norditalien weisen die gleiche Zusammensetzung auf wie die Nutzpflanzen der ältesten Schweizer Pfahlbausiedlungen in Zürich und im luzernischen Egolzwil. Davon berichten die Forschenden im «Journal of Archaeological Science: Reports».

Hartweizen, Gerste, Schlafmohn und Flachs

Das Team entnahm Sedimentbohrkerne rund um eine prähistorische Siedlung auf dem Isolino Virginia und datierte die Kulturpflanzen in den Ablagerungen mittels Radiokarbonmethode. Demnach schienen Menschen diese künstlich angelegte Insel bereits 4950 bis 4700 v. Chr. ihr Zuhause zu nennen. Die ältesten bekannten Pfahlbausiedlungen der Schweiz datieren auf ca. 4300 v. Chr.

Durch Vergleiche mit der Referenzsammlung des IPNA konnten die Archäobotanikerinnen und -botaniker die Zusammensetzung des rund 7000 Jahre alten Pflanzenmaterials aus dieser frühesten Besiedlungsphase auf dem Isolino Virginia identifizieren: Nacktweizen (Hartweizen), Nacktgerste, Schlafmohn und Flachs. Die gleichen Pflanzenarten, wie sie auch die Bewohnerinnen und Bewohner der ältesten Schweizer Pfahlbausiedlungen anbauten.

Verbindung zum westlichen Mittelmeerraum

Diese Pflanzenarten sind allerdings untypisch für die damalige nordostitalienische Bevölkerung, deren Landwirtschaft sich auf den Anbau von Spelzweizen wie Emmer konzentrierte. Die am Varese-See gefundenen Nutzpflanzen wurden eher im westlichen Mittelmeerraum angebaut. Daraus schlussfolgerte das Forschungsteam, dass die Siedlung auf dem Isolino Virginia wohl von Gruppen gegründet wurde, die aus dem westlichen Mittelmeerraum stammten oder mit diesem durch Handel eng verbunden waren. «Diese Gruppen spielten wahrscheinlich eine Hauptrolle bei der Ausbreitung des Pfahlbauphänomens nördlich der Alpen», sagt der Archäobotaniker Antolín.

Die Zeit zwischen 4700 v. Chr., als die Siedlung auf dem Isolino Virginia temporär aufgegeben wurde, und 4300 v.Chr., als die ersten Pfahlbaudörfer nördlich der Alpen entstanden, bleibt mit offenen Fragen behaftet. Andere archäologische Nachweise, etwa weitere Siedlungen, könnten noch unentdeckt geblieben oder verloren gegangen sein, vermuten die Forschenden.

Zudem zeigt die laufende Forschung, dass es auch in anderen Gebieten Europas eine Fülle von Zeugnissen prähistorischer Pfahlbauten gibt, wie etwa auf dem zentralen Balkan. Auch hier beteiligt sich das Team der Universität Basel an der Erforschung der jungsteinzeitlichen Pfahlbausiedlungen. Diese Stätten weisen jedoch eine andere landwirtschaftliche Tradition auf, sodass eine direkte Verbindung zu den Pfahlbauten der Schweiz unwahrscheinlich scheint.

Der Ursprung der Pfahlbauten bleibe ein komplexes Phänomen, das sich anhand der Überreste der Gebäude selbst kaum klären lasse, so Antolín. «Die Analyse von Überresten der Nutzpflanzen kann hier aber einen wichtigen Beitrag leisten.»

Quelle:

Dr. Angelika Jacobs, Kommunikation

Universität Basel

Ein Festgelage vor 10.000 Jahren

Neue Erkenntnisse zur Nahrungsproduktion frühneolithischer Jäger und Sammler am Göbekli Tepe, Türkei.

Bekannt vor allem durch seine Monumentalarchitektur hat der Göbekli Tepe wesentliche neue Einblicke in die Verwirklichung gemeinschaftlicher Großprojekte von Jägern und Sammlern vor etwa 12- bis 10000 Jahren gewährt. Die gewaltigen Steinmonumente dienten vermutlich als wichtige Versammlungsplätze für Rituale, Kommunikation und Austausch und sind eng mit dem Konzept von ‚work feasts‘ (Arbeitsfeste) verknüpft.

Aktuell gehen die Forscher davon aus, dass große Feste vor Ort ausgerichtet wurden, um die notwendigen Arbeitskräfte zu rekrutieren. Bisher beruhte der Nachweis für die Versorgung dieser Feste vor allem auf umfangreichem archäozoologischen Material: den oft zerbrochenen und verbrannten Knochen von Jagdwild, insbesondere Auerochsen und Gazellen.

Eine kürzlich im Rahmen des DFG-finanzierten Göbekli Tepe-Projekts des Deutschen Archäologischen Instituts abgeschlossene Studie (unter Mitwirkung der FU Berlin) konnte mit mehr als 7.000 Reibsteinen, Läufern, Mörsern und Stößeln eine außergewöhnlich große Anzahl solcher Geräte zur Verarbeitung pflanzlicher Nahrung untersuchen. Diese Ergebnisse weisen auf einst große Mengen verarbeiteten Getreides hin und schließen so die Lücke nur wenig erhaltener tatsächlicher Pflanzenreste. Ohne klar identifizierbare Vorratslager vor Ort belegen diese Ergebnisse, dass die Speisen nur zum unmittelbaren Verzehr während der Feste hergestellt wurden.  Dies ergänzt das aus den Tierknochen gewonnene Bild und stützt die Hypothese großer Feste anlässlich zeitlich begrenzter Treffen am Göbekli Tepe im Sommer und Herbst, wie auch die Anwesenheit saisonal wandernder Tiere wie Gazellen nahelegt.

Mehr Infos zu dem Göbekli Tepe-Projekt gibt es hier.

Quelle:
Nicole Kehrer M.A.
Leiterin Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Deutsches Archäologisches Institut
Berlin

Sag mir, was Du isst…

Die Besiedlung Madagaskars: Reis und Mungobohnen als archäologische Quellen.

Obwohl tausende Kilometer von Südostasien entfernt, wird auf Madagaskar eine Sprache gesprochen, die eng verwandt ist mit den Sprachen des pazifischen Raums und Südostasiens. Auch genetische Studien belegen eine Verwandtschaft der Madagassen etwa mit Malaysiern und Polynesiern. Die Archäologie suchte bislang jedoch vergeblich nach Belegen für die Besiedlung der Insel von Südostasien. Einem internationalen Forschungsteam unter leitender Beteiligung der Max-Planck-Direktorin Nicole Boivin ist es nun gelungen, durch die Analyse pflanzlicher Überreste erstmals verlässliche Hinweise auf die Herkunft der madagassischen Urbevölkerung zu finden.

Aus Sedimenten an 18 prähistorischen Siedlungsorten auf Madagaskar, den Komoren und an der ostafrikanischen Küste haben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler 2443 pflanzliche Überreste von Nutzpflanzen identifiziert. In der heute in der Fachzeitschrift Proceedings of the National Academy of Sciences veröffentlichten Studie, datieren sie die Funde auf die Zeit zwischen 700 und 1000 unserer Zeitrechnung.

“Uns überraschte der deutliche Unterschied zwischen den ackerbaulich genutzten Pflanzenarten der ostafrikanischen Küstenregion und denen auf Madagaskar“, sagt Alison Crowther von der Universität Queensland, leitende Autorin der Studie.Während die historischen Pflanzenfunde von der ostafrikanischen Küste und den nächstgelegenen Inseln ganz überwiegend von afrikanischen Nutzpflanzen dominiert waren – wie Sorghum, Perlhirse und Affenbrot -, enthielten die Proben aus Grabungsstätten auf Madagaskar wenige oder gar keine afrikanischen Pflanzenarten. Stattdessen bestanden sie hauptsächlich aus asiatischen Sorten wie asiatischem Reis, Mungobohnen und asiatischer Baumwolle.

Das Team untersuchte, in welchen anderen Gebieten rund um den indischen Ozean diese Nutzpflanzen angebaut wurden und berücksichtigte zusätzlich historische und linguistische Daten. Auf dieser Basis konnten die Forscher überzeugend darlegen, dass die Nutzpflanzen aus Südostasien nach Madagaskar kamen.  „Wir haben endlich einen Weg gefunden, einen Blick auf die äußerst rätselhafte südostasiatische Besiedlung der Insel zu werfen.“ , sagt Nicole Boivin, weitere Leiterin der Studie und Direktorin der neugegründeten Abteilung Archäologie am Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte in Jena. „Wir können sie eindeutig trennen von der Besiedlung, die vom afrikanischen Kontinent aus stattgefunden hat. Offensichtlich brachten die Südostasiaten Samen von Nutzpflanzen aus ihrer Heimat mit, pflanzten sie auf Madagaskar an und ernährten sich von ihnen. Archäologen können diese Überreste nutzen, um endlich grundlegende Einblicke zu bekommen, wie die Insel besiedelt wurde.“

Ein solcher neuer Einblick ist, dass nicht nur Madagaskar von Südostasiaten besiedelt wurde, sondern auch das benachbarte Archipel der Komoren, das zwischen Madagaskar und der nördlichen Küste Mosambiks liegt. „Damit haben wir nicht gerechnet“, merkt Alison Crowther an, „denn die Menschen auf den Komoren sprechen afrikanische Sprachen, und sie sehen – anders als die Bevölkerung Madagaskars – überhaupt nicht aus, als könnten sie südostasiatische Urahnen haben.“ Linguistische Befunde unterstützen allerdings die Hypothese der Forscherinnen: „Als wir die Ergebnisse der Sprachforscher zu den Komoren genauer analysierten, stellten wir fest, dass zahlreiche angesehene Linguisten dieselbe Argumentation verwenden, die uns die archäologischen Funde nahelegen: eine Besiedlung der Komoren durch Menschen aus Südostasien“, führt Nicole Boivin aus.

Noch sind viele Fragen offen. „Wir möchten herausfinden, wer diese Menschen waren und welchen Einfluss sie hatten“, sagt Alison Crowther. „Zu den Ereignissen, die möglicherweise mit der Ankunft der Menschen aus Südostasien in Zusammenhang stehen, gehört das Verschwinden von Madagaskars bekannter Megafauna, zu denen verschiedene Arten von riesigen Vögeln, Riesenlemuren und Riesenschildkröten gehören.“ Fragen wie diesen möchte das Team in weitere Forschungsarbeiten auf Madagaskar nachgehen.

Mehr Infos gibt es hier.

Quelle:
Petra Mader
Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte / Max Planck Institute for the Science of Human History

Keltisches Bier

 Beifußkraut und Möhrensamen statt Hopfen: Archäobotaniker der Universität Hohenheim analysiert prähistorische Brauereien – mit erstaunlichen Ergebnissen.

Vor 2.500 Jahren braute man es schon: das keltische Bier. Bis Mitte des 16. Jahrhunderts gab es unzählige Zubereitungsarten. Erst das Reinheitsgebot vom 23. April 1516 regelte das Bierbrauen in Deutschland. Trotzdem sei schon das Gerstengold der Kelten ein süffig-hochwertiges Gebräu besonderer Qualität gewesen, weiß Dr. Hans-Peter Stika, Archäobotaniker der Universität Hohenheim.

Die Spelzgerste machte den Geschmack des dunklen und rauchigen Bieres, und die obergärigen Hefen brachten zusammen mit Milchsäurebakterien einen säuerlich spritzigen Geschmack hinzu, der im Sommer bei heißen Temperaturen Abkühlung versprach. Abgemildert hat die Komposition eine leichte Karamell-Note im Abgang, verursacht durch Kochsteine. Gewürzt wurde mit Beifußkraut und Möhrensamen.

Geschmacklich unterscheidet sich das Kelten-Bier von den heute bekannten Biersorten. Doch schon die Kelten legten Wert auf eine hohe Qualität ihrer Produkte, schlussfolgert Dr. Stika.
Derzeit untersucht er in Berlin zwei Ausgrabungsstellen. Auf der Fischerinsel – heute besser bekannt unter dem Namen Museumsinsel – haben die Forscher größere Mengen an Gerstenmalz zusammen mit den Rohfrüchten Roggen und Hafer entdeckt. Dort wurde wohl ein Mischbier aus Gerste, Roggen und Hafen gebraut. Einen weiteren Malzfund von Spelzgerste und einen Hopfengarten untersuchen die Wissenschaftler in der Wüstung Diepensee unter dem neuen Flughafen BER. Alle Funde stammen aus dem 12. bis 14. Jahrhundert und verweisen auf Malzherstellung im Zuge von Brauvorgängen.

Die Untersuchungen im mittelalterlichen Berlin laufen noch, Theorien werden geprüft, Bodenproben analysiert. Die Ausgrabung und Untersuchung einer frühkeltischen Ausgrabungsstätte in Hochdorf hingegen ist bereits abgeschlossen – und liefert erstaunliche Erkenntnisse. „Bei Ausgrabungen legten wir Gräben frei, die vermutlich Teile einer Bierbrauerei waren“, erklärt der Experte der Universität Hohenheim. „Diese Gräben wurden wohl zuerst zum Ankeimen der Gerste genutzt. Das dadurch entstandene Grünmalz konnte dann auf einem Aufbau über den Gräben, die so zudem auch als Darren genutzt worden waren, getrocknet werden. Bei einem Schadfeuer verkohlten die angekeimten Gerstenkörner und blieben bis in unsere heutige Zeit erhalten.“
Anhand der Funde konnten die Wissenschaftler das Bierbrauen der Kelten nachempfinden, so Dr. Stika. „Das Kelten-Bier unterscheidet sich im Geschmack von unseren heutigen Bieren. Die Kelten wussten einfach nichts über Hefe und ihre Wirkung, sie vertrauten der Spontangärung durch wilde Hefestämme. Die Gärung stellte sich durch Hefeverunreinigungen an den Gefäßen, Rührern und Schöpfkellen aus Holz ein. Anders als in den neuzeitlichen Braukesseln aus Kupfer und Stahl erfolgte das mittelalterliche Brauen in Holzgefäßen nicht unter sterilen Bedingungen. So konnten sich neben Hefen auch Milchsäurebakterien an der Gärung beteiligen. Selbst geringe Mengen an Milchsäure konnten das fertige Keltenbier für längere Zeit haltbar machen.“

Seinen eigentümlichen Geschmack bekam das Kelten-Bier durch seine Würzmischung aus Beifuß und Möhrensamen anstatt Hopfen und durch die andere Zubereitungsart. „Das Bier der Kelten war rauchig und säuerlich, aber sehr erfrischend. Wir vermuten, dass ein Teil dieses Geschmackes von der Trocknung der angekeimten Gerstenkörner über dem offenen Feuer herrührt. Ein anderer Teil wurde vermutlich durch den Brauvorgang selbst verursacht.“

Obwohl das deutsche Reinheitsgebot in diesem Jahr erst seinen 500. Geburtstag feiert und vor 2.500 Jahren noch keine Rolle spielte, könnte das Keltenbier damals gut geschmeckt haben. „Unsere Untersuchungen des Keltenmalzes haben ergeben, dass es eine hohe Qualität besaß. Das spricht dafür, dass die Bierbrauer in der freigelegten Hochdorfer Brauerei viel Erfahrung beim Malzen hatten.“

Die ersten Bierbraumeister der Geschichte waren die Kelten aber nicht: Bereits die alten Ägypter stellten Bier in abgeänderter Form her, indem sie halb fertig gebackenes Brot aus Malz mit Wasser vergärten. Und auch die Römer kannten das aus Getreide hergestellte Gebräu, hielten sich jedoch lieber an den Wein, zumindest wenn man den schriftlichen Quellen Glauben schenkt. Denn für sie war Bier nicht mehr als das Getränk der Germanen – und damit der Barbaren.

 

Quelle:

Florian Klebs
Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Universität Hohenheim

Grabungen in Asien zeigen Neues zur Kulturgeschichte der Landwirtschaft

Archäologen der Universität Tübingen dokumentieren die Ursprünge der Landwirtschaft im iranischen Zagros-Vorgebirge.

Seit Jahrzehnten erforschen Archäologen die Ursprünge der Landwirtschaft im Vorderen Orient. Diese Forschungen wiesen bislang auf eine frühe Pflanzendomestikation im westlichen und nördlichen „Fruchtbaren Halbmond“ hin, eine regenreiche Region, die sich von der Küste Israels bis zum Iran erstreckt. In der Ausgabe des Fachmagazins Science vom 5. Juli zeigen Wissenschaftler der Universität Tübingen, des Senckenberg Center for Human Evolution and Palaeoenvironment Tübingen und vom Iranischen Zentrum für Archäologische Forschung, dass das iranische Vorland des Zagros-Gebirges im östlichen Teil des „Fruchtbaren Halbmondes“ ebenfalls ein Schlüsselgebiet bei der ersten Domestikation wilder Pflanzen zu Kulturpflanzen darstellt.

Die Archäologen Professor Nicholas Conard und Mohsen Zeidi aus Tübingen führten zwischen 2009 und 2010 archäologische Ausgrabungen am Tell-Fundplatz Chogha Golan durch. Sie fanden eine acht Meter tiefe Abfolge von ausschließlich akeramischen Kulturschichten des Neolithikums, die in einen Entstehungszeitraum zwischen 11.700 und 9.800 Jahren vor heute fallen. Bei Ausgrabungen wurde eine Fülle von Bauresten, Stein- und Knochengeräten und figürlichen Darstellungen von Menschen und Tieren gefunden. Vermutlich am bedeutendsten waren zudem die Funde der bislang reichsten Ablagerungen verkohlter Pflanzenreste, die jemals aus dem akeramischen Neolithikum des Vorderen Orients geborgen wurden.

Simone Riehl, Leiterin des Archäobotanischen Labors in Tübingen, wertete mehr als 30.000 Pflanzenreste aus 75 Verwandtschaftsgruppen am Chogha Golan aus, die einen Zeitraum von mehr als 2000 Jahren umfassen. Die Ergebnisse zeigen, dass die Ursprünge der Landwirtschaft im Vorderen Orient multiplen Zentren zuzuordnen sind und nicht, wie bislang angenommen, einem einzigen Kerngebiet entspringen. Daraus schließen die Wissenschaftler, dass der östliche Teil des „Fruchtbaren Halbmondes“ eine Schlüsselrolle im Prozess der Domestikation einnahm.

Viele Fundplätze des akeramischen Neolithikums weisen nur kurze Besiedlungsphasen auf. Im Gegensatz dazu steht die lange Sedimentabfolge am Chogha Golan, die es ermöglichte, die Langzeitentwicklung menschlicher Subsistenz an einer Fundstelle zu untersuchen. Unter den Pflanzenresten vom Chogha Golan finden sich am häufigsten die wilden Vorfahren unserer heutigen Kulturpflanzen, wie Wildgerste, Aegilops und Linse. Diese und andere Arten kommen bereits in den ältesten Siedlungsschichten (Horizont XI) sehr häufig vor und stammen aus dem Ende der letzten Eiszeit vor ca. 11.700 Jahren. In der Siedlungsschicht Horizont II, die auf 9.800 Jahre datiert wird, taucht domestizierter Emmer-Weizen auf.

Die Pflanzenreste vom Chogha Golan repräsentieren einen einzigartigen Langzeitbeleg der Kultivierung wilder Pflanzenarten im östlichen „Fruchtbaren Halbmond“. Über einen Zeitraum von zwei Jahrtausenden entwickelte sich die Bewirtschaftung an der Fundstelle hin zu domestizierten Arten, die eine Basis für die Entstehung sesshafter Dorfsiedlungen und nachfolgender Zivilisationen im Vorderen Orient bildeten. Pflanzen wie verschiedene Weizenformen, Gerste und Linse begleiteten später zusammen mit domestizierten Tieren die frühen Ackerbauern auf ihrem Weg über das westliche Eurasien, wo sie allmählich die einheimischen Jäger- und Sammler-Populationen ersetzten. Viele der Pflanzen, die im „Fruchtbaren Halbmond“ domestiziert wurden, stellen die ökonomische Basis und Nahrungsgrundlage der heutigen Weltbevölkerung dar.

Mehr Informationen gibt es hier.

Quelle:

Myriam Hönig, Antje Karbe
Hochschulkommunikation
Eberhard Karls Universität Tübingen