3400 Jahre alte Stadt aus dem Tigris aufgetaucht

Ein Team aus deutschen und kurdischen Archäologen hat am Tigris eine 3400 Jahre alte Stadt aus der Zeit des Mittani-Reichs freigelegt, die aus dem Wasser des Mosul-Stausees aufgetaucht war. Ermöglicht wurde dies, weil der Wasserspiegel des Sees aufgrund extremer Trockenheit im Irak rapide abgesunken war. Bei der ausgedehnten Stadtanlage mit Palast und mehreren Großbauten könnte es sich um das alte Zachiku handeln. Dieses dürfte ein wichtiges Zentrum im Großreich von Mittani gewesen sein (ca. 1550–1350 v. Chr.).

Bronzezeitliche Stadt trat aufgrund von Dürre wieder an die Oberfläche

Der Irak ist eines der weltweit am stärksten vom Klimawandel betroffenen Länder. Besonders der Süden des Landes leidet seit Monaten unter extremer Trockenheit. Um die Ernte nicht vertrocknen zu lassen, wurden seit Dezember große Mengen von Wasser aus dem Mosul-Stausee – dem wichtigsten Wasserreservoir des Irak – zu Bewässerungszwecken abgelassen. Dadurch trat am Rand des Sees, am Ort Kemune in der Region Kurdistan des Irak, eine bronzezeitliche Stadt wieder an die Oberfläche, die vor Jahrzehnten untergegangen war, bevor sie archäologisch untersucht werden konnte.

Durch dieses unvorhergesehene Ereignis geriet die Archäologie unter Zugzwang: Es galt zumindest Teile dieser großen, wichtigen Stadtanlage schnellstmöglich freizulegen und zu dokumentieren, bevor sie wieder im Wasser versank. Deshalb haben der kurdische Archäologe Dr. Hasan A. Qasim, Direktor der Kurdistan Archaeology Organization (KAO) und die deutschen Archäolog*innen Jun.-Prof. Dr. Ivana Puljiz von der Universität Freiburg und Prof. Dr. Peter Pfälzner von der Universität Tübingen spontan beschlossen, eine gemeinsame Rettungsgrabung in Kemune zu unternehmen. Diese fand im Januar und Februar 2022 in Zusammenarbeit mit der Antikendirektion Dohuk, Region Kurdistan-Irak statt.

Fritz-Thyssen-Stiftung unterstütze Ausgrabungen

Binnen weniger Tage wurde ein Team für die Rettungsgrabung zusammengestellt. Über die Universität Freiburg konnten kurzfristig Mittel der Fritz-Thyssen-Stiftung zur Finanzierung der Arbeiten eingeworben werden. Das deutsch-kurdische Team stand bei den Ausgrabungen unter immensem Zeitdruck, weil nicht klar war, wann das Wasser im See wieder ansteigen würde.

Massive Befestigungsanlage, mehrstöckiges Magazingebäude, industrieller Komplex
Den Forscher*innen gelang es binnen kurzer Zeit, den Plan der Stadt weitgehend zu rekonstruieren. Neben einem Palast, der bereits 2018 im Verlauf einer Kurzkampagne erfasst worden war, wurden mehrere weitere Großbauten freigelegt: eine massive Befestigungsanlage mit Mauer und Türmen, ein monumentales, mehrstöckiges Magazingebäude sowie ein industrieller Komplex. Die ausgedehnte Stadtanlage datiert in die Zeit des Großreiches von Mittani (ca. 1550–1350 v. Chr.), das weite Teile Nordmesopotamiens und Syriens kontrollierte.

„Das riesige Magazingebäude ist von besonderer Bedeutung, weil darin enorme Mengen an Gütern gelagert worden sein müssen, die wahrscheinlich aus der gesamten Region herbeigeschafft wurden,“ erläutert Puljiz. Qasim schlussfolgert: „Die Ausgrabungsergebnisse zeigen, dass der Ort ein wichtiges Zentrum im Mittani-Reich war“.

Besonders erstaunlich sei, dass die Mauern dieser Gebäude sehr gut, manchmal mehrere Meter hoch erhalten seien, und dies obwohl es sich um Bauten aus ungebrannten Lehmziegeln handele, die über 40 Jahre lang unter Wasser lagen, so das Forschungsteam. Dies habe seinen Grund darin, dass die Stadt gegen 1350 v. Chr. bei einem Erdbeben zerstört wurde und die einstürzenden oberen Teile der Mauern die Gebäude unter sich begruben.

Keramikgefäße mit über 100 Keilschriften

Eine besondere wichtige Entdeckung sind fünf Keramikgefäße, in denen ein Archiv aus über 100 Keilschrifttafeln untergebracht war. Sie datieren in die mittelassyrische Zeit, kurz nach der Erdbebenkatastrophe, die die Stadt heimgesucht hatte. Einige Tontafeln, bei denen es sich vielleicht um Briefe handelt, stecken sogar noch in ihren Umschlägen aus Ton. Von dieser Entdeckung erhoffen sich die Forscher*innen wichtige Aufschlüsse über das Ende der Mittani-zeitlichen Stadt und den Beginn der assyrischen Herrschaft in dieser Region. „Dass die Keilschrifttafeln aus ungebranntem Ton so viele Jahrzehnte unter Wasser überdauert haben, grenzt an ein Wunder“, sagt Pfälzner.

Konservierungsmaßnahme, um Schäden durch Stausee zu verhindern

Um weitere Schäden an der bedeutenden Ruinenstätte durch den Stausee abzuwenden, wurden die ausgegrabenen Gebäude im Rahmen einer von der Gerda Henkel-Stiftung finanzierten umfangreichen Konservierungsmaßnahme vollständig mit enganliegender Plastikfolie umkleidet und mit Kiesschüttungen bedeckt. Dadurch sollen die Mauern aus ungebranntem Lehm und eventuelle weitere in den Ruinen noch verborgene Funde vor dem Wasser geschützt werden. Inzwischen ist der Fundort wieder vollständig überflutet.

Quelle:

Bastian Strauch, Hochschul- und Wissenschaftskommunikation

Albert-Ludwigs-Universität Freiburg im Breisgau

Kinder wurden in der Bronzezeit nach biologischem Geschlecht bestattet

Archäologen und Archäologinnen der Österreichischen Akademie der Wissenschaften haben eine neue Methode entwickelt, über Peptide im Zahnschmelz das Geschlecht bei bestatteten Kindern festzustellen. Bei einer Untersuchung auf dem frühbronzezeitlichen Gräberfeld Franzhausen I in Niederösterreich konnte das Team nun zeigen, dass bereits Kinder mehrheitlich ihrem biologischen Geschlecht gemäß beigesetzt wurden. Aber es scheint auch Spielraum für Geschlechtsidentität im Lebensverlauf gegeben zu haben.

Ein Team von Wissenschaftler/innen unter der Leitung von Katharina Rebay-Salisbury vom Österreichischen Archäologischen Institut der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) hat nachgewiesen, dass Kinder schon in der frühen Bronzezeit entsprechend ihres biologischen Geschlechts bestattet wurden. Die strenge binäre Geschlechterideologie, die Menschen in männlich und weiblich einteilte, galt also auch für Kinder, wie die Forscher/innen im Journal of Archaeological Sciences berichten.

Frauen hatten mehr Spielraum

Eine Ausnahme gab es allerdings: Ein Mädchen wurde in einer männertypischen Körperhaltung und Ausrichtung bestattet. „Daraus lässt sich folgern, dass Frauen möglicherweise etwas mehr Spielraum hatten, um Geschlechtergrenzen zu überschreiten und ihr Geschlecht im Verlauf ihres späteren Lebens zu ändern“, so Rebay-Salisbury. Das korreliert auch mit den Zahlen bei Erwachsenen: Bei 2 bis 4 Prozent der Bestatteten zeigt sich, dass sie nicht ihres biologischen Geschlechts gemäß beigesetzt wurden. Auch hier ist das überwiegend bei Frauen der Fall.

Die Untersuchung fand auf einem der größten frühbronzezeitlichen Gräberfelder in Europa statt: Franzhausen I befindet sich im Bezirk St. Pölten und stammt ca. aus der Zeit 2200-1600 v. Chr. Konkret wurde das Geschlecht von 70 Kindern unter 12 Jahren identifiziert und mit geschlechtsspezifischen Bestattungspraktiken verglichen, wie sie bei Erwachsenen gelten: Frauen wurden in Hockerlage auf der rechten Körperseite liegend bestattet, mit dem Kopf nach Süden, Männer auf der linken Körperseite mit dem Kopf nach Norden.

Zahnschmelz verrät biologisches Geschlecht

Bisher war es schwierig, das biologische Geschlecht bei bestatteten Kindern festzustellen, weil sich erst nach der Pubertät die Skelettmorphologie geschlechterspezifisch ausbildet. Es gibt zwar DNA-Analysen, aber diese sind kostenintensiv und vom Erhaltungszustand der Knochen abhängig. Das Team um Archäologin Katharina Rebay-Salisbury, zu dem auch Forschende vom Institut für Analytische Chemie der Universität Wien und der Gerichtsmedizin der Medizinischen Universität Wien gehören, setzte eine revolutionäre neue Methode ein: die Identifizierung geschlechtsspezifischer Peptide im Zahnschmelz durch Nano-Flüssigkeitschromatographie-Tandem-Massenspektrometrie (nanoLC-MS/MS). Peptide im Zahnschmelz erhalten sich wesentlich besser als DNA in Knochen.

„Diese neue Methode hat das Potenzial, die Anthropologie und Archäologie der Kindheit zu verändern, da geschlechtsspezifische Morbidität und Mortalität, Ernährung und Behandlung von Kindern nun in großem Umfang untersucht werden können“, so Rebay-Salisbury. Weitere Forschungen auf dem Gebiet der Geschlechterarchäologie sollen nun mit Hilfe der neuen peptidbasierten Methode der Geschlechtsbestimmung Erkenntnisse dazu bringen, wie Männer und Frauen in der Vergangenheit zusammenlebten und miteinander in Beziehung standen.

Quelle:

Sven Hartwig, Öffentlichkeit und Kommunikation
Österreichische Akademie der Wissenschaften

Frühester von Menschen dekorierter Schmuck Eurasiens

In einer neuen multidisziplinären Studie berichtet ein internationales Forschungsteam über die Entdeckung eines Elfenbeinanhängers, der mit einem Muster von wenigstens 50 Punkten verziert ist, die eine unregelmäßige Schleife bilden. Die direkte Radiokarbondatierung dieses Schmuckstücks ergab ein Alter von etwa 41.500 Jahren. Somit ist der Anhänger aus der Stajnia-Höhle in Polen das älteste bisher bekannte mit Punkten dekorierte Ornament Eurasiens – und etwa 2.000 Jahre älter als andere vergleichbare Schmuckstücke.

Nach ihrer Ausbreitung in Mittel- und Westeuropa vor etwa 42.000 Jahren begannen Homo sapiens-Gruppen, Mammutstoßzähne für die Herstellung von Anhängern und Gegenständen wie geschnitzten Statuetten zu bearbeiten, die gelegentlich mit geometrischen Motiven verziert waren. Neben Linien, Kreuzen und Rauten tauchte bei einigen Ornamenten in Südwestfrankreich und Figuren aus der Schwäbischen Alb eine neue Verzierungsart auf – die Aneinanderreihung von Punkten. Die meisten dieser dekorierten Gegenstände wurden bei früheren Ausgrabungsarbeiten entdeckt, und ihre chronologische Zuordnung ist nach wie vor nicht gesichert. Daher blieben Fragen offen hinsichtlich der Entstehung von Körperschmuck und der Verbreitung mobiler Kunst in Europa.

Eine neue Studie unter der Leitung von Forschenden des Max-Planck-Instituts für evolutionäre Anthropologie in Leipzig, der Universität Bologna in Italien, der Universität Wrocław in Polen, des Polnischen Geologischen Instituts – Nationales Forschungsinstitut, Warschau, Polen, und des Instituts für Systematik und Evolution der Tiere der Polnischen Akademie der Wissenschaften stellt nun den ältesten bekannten Elfenbeinanhänger Eurasiens vor, der mit einem Punktmuster verziert ist. Mit einem Alter von 41.500 Jahren ist dieser Schmuckgegenstand aus der Stajnia-Höhle einer der frühesten Ausbreitungswellen des Homo sapiens in Europa zugeordnet.



Der Stajnia-Anhänger ist mit einem Muster aus mindestens 50 Punkten verziert, die eine unregelmäßige Schleife bilden (Antonino Vazzana – BONES Lab).


„Die Bestimmung des genauen Alters dieses Schmuckstücks war für seine kulturelle Zuordnung von grundlegender Bedeutung, und wir sind von dem Ergebnis begeistert. Diese Arbeit zeigt, dass wir mit den jüngsten methodologischen Fortschritten bei der Radiokarbondatierung nicht nur den Umfang der Probennahme minimieren sondern auch hochpräzise Daten mit einem sehr geringen Fehlerbereich erzielen können. Wenn wir für die Debatte darüber, wann mobile Kunst in steinzeitlichen Homo sapiens-Gruppen erstmals aufkam, eine Lösung finden wollen, müssen wir diese Ornamente mit Hilfe der Radiokohlenstoffmethode datieren – insbesondere jene, die bei früheren Ausgrabungsarbeiten oder in komplexen stratigraphischen Sequenzen gefunden wurden“, sagt Sahra Talamo, Erstautorin der Studie und Leiterin des BRAVHO-Radiokohlenstofflabors an der Abteilung für Chemie „G. Ciamician“ der Universität Bologna.

Die Untersuchung des Anhängers und einer Ahle wurde zusätzlich noch mit digitalen Methoden durchgeführt, ausgehend von mikrotomographischen Scans der Funde. „Mithilfe von 3D-Modellierungstechniken haben wir die Funde virtuell rekonstruiert und den Anhänger entsprechend restauriert, was uns detaillierte Messungen ermöglichte und die Beschreibung der Verzierungen vereinfachte“, erklärt Co-Autor Stefano Benazzi, Leiter des Labors für Osteoarchäologie und Paläoanthropologie (BONES Lab) der Abteilung für Kulturerbe der Universität Bologna.

Der Schmuckgegenstand wurde 2010 bei archäologischen Ausgrabungsarbeiten unter der Leitung von Co-Autor Mikołaj Urbanowski zwischen Tierknochen und einigen Steinwerkzeugen aus dem Jungpaläolithikum entdeckt. Archäologische Fundstücke aus der Höhle lassen vermuten, dass die Höhle Neandertalern und Homo sapiens-Gruppen für mehrere kurze Zeitperioden als Aufenthaltsort diente. Der Anhänger ging möglicherweise zu Bruch, als die Gruppe in der Kraków-Częstochowa-Hochebene auf der Jagd war, und wurde anschließend entsorgt.


Luftaufnahme der Stajnia-Höhle in Polen (© Marcin Żarski).


„Dieses Schmuckstück zeugt von der großen Kreativität und den außergewöhnlichen handwerklichen Fähigkeiten der Mitglieder einer Homo sapiens-Gruppe, die den Fundort bewohnte. Die Dicke der Platte beträgt etwa 3,7 Millimeter – beim Schnitzen der Punkte und der Tragelöcher des Anhängers wurde mit einer erstaunlichen Präzision vorgegangen“, sagt Co-Autorin Wioletta Nowaczewska von der Universität Wrocław. „Ob die Schleife des Stajnia-Anhängers auf ein Mondanalemma verweist oder es sich dabei um eine Zählung von bei der Jagd erlegten Tieren handelt, bleibt ungelöst. Es ist jedoch faszinierend, dass ähnliche Verzierungen unabhängig voneinander in ganz Europa auftraten“, ergänzt Co-Autor Adam Nadachowski vom Institut für Systematik und Evolution der Tiere der Polnischen Akademie der Wissenschaften.

In groß angelegten Szenarien über die früheste Ausbreitung des Homo sapiens in Europa wurde das Gebiet des heutigen Polens bisher oft ausgeklammert, was darauf hindeutete, dass es nach dem Aussterben der Neandertaler mehrere Jahrtausende lang unbesiedelt blieb. „Das Alter des Elfenbeinanhängers und der Knochenahle, die in der Stajnia-Höhle gefunden wurden, belegt nun hingegen, dass die Ausbreitung des Homo sapiens im heutigen Polen zu einem genauso frühen Zeitpunkt stattgefunden hat wie in Mittel- und Westeuropa. Dieses bemerkenswerte Ergebnis verändert unseren Blick auf die Anpassungsfähigkeit dieser frühen Gruppen und stellt das monozentrische Verbreitungsmodell künstlerischer Innovation während der Aurignacien-Kultur in Frage“, sagt Co-Autor Andrea Picin vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig.

Weitere detaillierte Analysen der Elfenbeinfunde aus der Stajnia-Höhle und anderen Fundorten in Polen sind derzeit im Gange und versprechen weitere spannende Erkenntnisse zur Herstellung von Schmuckgegenständen in Mittelosteuropa.

Quelle:
Sandra Jacob Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie

Neue Langhäuser aus dem 6. Jahrtausend v. Chr. bei Tübingen entdeckt

Nordwestlich von Tübingen-Unterjesingen liegt in der Flur Ammenbühlen, westlich des Enzbachs, eine prähistorische Siedlung. Obwohl die Fundstelle bereits 1926 entdeckt wurde, war mit Ausnahme weniger Lesefunde kaum etwas über das Areal bekannt. Im Zuge aktueller Geländeforschungen konnten nun wichtige Erkenntnisse zur Siedlungsstruktur und Befundsituation gewonnen werden.

Rekonstruktion eines linearbandkeramischen Langhauses (M. Steffen/Landesamt für Denkmalpflege im Regierungspräsidium Stuttgart).

Die Untersuchungen fanden im Rahmen eines gemeinsamen Projekts des Landesamts für Denkmalpflege (LAD) im Regierungspräsidium Stuttgart und der Universität Tübingen statt. Geleitet wurde das Projekt zur Besiedlungsgeschichte des Ammertals während der frühen Jungsteinzeit von Prof. Dr. Raiko Krauß, Institut für Ur- und Frühgeschichte der Universität Tübingen, und Jörg Bofinger, Leiter des Referats Operative Archäologie am LAD.

„Ziel des Forschungsprojektes ist es, die zeitliche Abfolge der verschiedenen frühneolithischen Siedlungen genauer zu erfassen und mit Hilfe naturwissenschaftlicher Untersuchungen Umweltbedingungen und Lebensweise und damit den Landschaftswandel durch den Beginn der Landwirtschaft im 6. Jahrtausend zu untersuchen “, erläutert Prof. Raiko Krauß.

Studierende des Instituts für Ur- und Frühgeschichte der Universität Tübingen beim Freilegen des Hausgrundrisses eines Langhauses aus der zweiten Hälfte des 6. Jahrtausends v. Chr. (Veronika Stein/Universität Tübingen).



Zunächst konnte im Frühjahr 2021 das Siedlungsareal auf einer Fläche von rund sechs Hektar mittels geophysikalischer Messungen durch die Fachfirma Terrana aus Mössingen aufgenommen und erste Hinweise jungsteinzeitlicher Besiedlungsstrukturen kartiert werden. Die Magnetfeldmessungen zeigten, dass die Reste mehrerer der charakteristischen Langhäuser (die Dimensionen von über 30 Metern Länge erreichen können) noch im Boden erhalten sind und einen Siedlungsplatz der sogenannten Linienbandkeramischen Kultur, der frühesten bäuerlichen Bevölkerungsgruppe in Südwestdeutschland im 6. Jahrtausend v. Chr., belegen. Auf dieser Basis gelang es während einer vierwöchigen Grabungskampagne im Frühherbst 2021 unter der örtlichen Leitung von Veronika Stein (Universität Tübingen), Ausschnitte von einem der jungsteinzeitlichen Hausgrundrisse archäologisch zu untersuchen und zu dokumentieren. „Verfärbungen im Boden lassen die Standspuren der ehemaligen Pfosten der Hauskonstruktion erkennen, ebenso wie Gräbchenstrukturen, die als letzte Hinweise auf Wände des Hauses zu deuten sind,“ erläutert Dr. Jörg Bofinger.

Südlich von Entringen sowie nordöstlich von Pfäffingen konnten bereits Hausgrundrisse nachgewiesen werden, die auf linienbandkeramische Dörfer hinweisen. Dank der aktuellen Feldforschungen gelang es nun zweifelsfrei, ein weiteres Dorf mit mehreren Langhäusern beziehungsweise Gehöften der ersten Bauern rund 500 Meter nördlich des heutigen Ammerverlaufs zu lokalisieren. Weitere Untersuchungen wie beispielsweise 14C-Datierungen (Radiokarbonmethode zur Bestimmung des Alters von Funden) oder archäobotanische Analysen werden dazu beitragen, Fragen der absoluten Chronologie und Wirtschaftsweise besser beurteilen zu können.

Quelle:

Dr. Karl Guido Rijkhoek 
Hochschulkommunikation
Eberhard Karls Universität Tübingen

Sag mir, was Du isst…

Die Besiedlung Madagaskars: Reis und Mungobohnen als archäologische Quellen.

Obwohl tausende Kilometer von Südostasien entfernt, wird auf Madagaskar eine Sprache gesprochen, die eng verwandt ist mit den Sprachen des pazifischen Raums und Südostasiens. Auch genetische Studien belegen eine Verwandtschaft der Madagassen etwa mit Malaysiern und Polynesiern. Die Archäologie suchte bislang jedoch vergeblich nach Belegen für die Besiedlung der Insel von Südostasien. Einem internationalen Forschungsteam unter leitender Beteiligung der Max-Planck-Direktorin Nicole Boivin ist es nun gelungen, durch die Analyse pflanzlicher Überreste erstmals verlässliche Hinweise auf die Herkunft der madagassischen Urbevölkerung zu finden.

Aus Sedimenten an 18 prähistorischen Siedlungsorten auf Madagaskar, den Komoren und an der ostafrikanischen Küste haben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler 2443 pflanzliche Überreste von Nutzpflanzen identifiziert. In der heute in der Fachzeitschrift Proceedings of the National Academy of Sciences veröffentlichten Studie, datieren sie die Funde auf die Zeit zwischen 700 und 1000 unserer Zeitrechnung.

“Uns überraschte der deutliche Unterschied zwischen den ackerbaulich genutzten Pflanzenarten der ostafrikanischen Küstenregion und denen auf Madagaskar“, sagt Alison Crowther von der Universität Queensland, leitende Autorin der Studie.Während die historischen Pflanzenfunde von der ostafrikanischen Küste und den nächstgelegenen Inseln ganz überwiegend von afrikanischen Nutzpflanzen dominiert waren – wie Sorghum, Perlhirse und Affenbrot -, enthielten die Proben aus Grabungsstätten auf Madagaskar wenige oder gar keine afrikanischen Pflanzenarten. Stattdessen bestanden sie hauptsächlich aus asiatischen Sorten wie asiatischem Reis, Mungobohnen und asiatischer Baumwolle.

Das Team untersuchte, in welchen anderen Gebieten rund um den indischen Ozean diese Nutzpflanzen angebaut wurden und berücksichtigte zusätzlich historische und linguistische Daten. Auf dieser Basis konnten die Forscher überzeugend darlegen, dass die Nutzpflanzen aus Südostasien nach Madagaskar kamen.  „Wir haben endlich einen Weg gefunden, einen Blick auf die äußerst rätselhafte südostasiatische Besiedlung der Insel zu werfen.“ , sagt Nicole Boivin, weitere Leiterin der Studie und Direktorin der neugegründeten Abteilung Archäologie am Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte in Jena. „Wir können sie eindeutig trennen von der Besiedlung, die vom afrikanischen Kontinent aus stattgefunden hat. Offensichtlich brachten die Südostasiaten Samen von Nutzpflanzen aus ihrer Heimat mit, pflanzten sie auf Madagaskar an und ernährten sich von ihnen. Archäologen können diese Überreste nutzen, um endlich grundlegende Einblicke zu bekommen, wie die Insel besiedelt wurde.“

Ein solcher neuer Einblick ist, dass nicht nur Madagaskar von Südostasiaten besiedelt wurde, sondern auch das benachbarte Archipel der Komoren, das zwischen Madagaskar und der nördlichen Küste Mosambiks liegt. „Damit haben wir nicht gerechnet“, merkt Alison Crowther an, „denn die Menschen auf den Komoren sprechen afrikanische Sprachen, und sie sehen – anders als die Bevölkerung Madagaskars – überhaupt nicht aus, als könnten sie südostasiatische Urahnen haben.“ Linguistische Befunde unterstützen allerdings die Hypothese der Forscherinnen: „Als wir die Ergebnisse der Sprachforscher zu den Komoren genauer analysierten, stellten wir fest, dass zahlreiche angesehene Linguisten dieselbe Argumentation verwenden, die uns die archäologischen Funde nahelegen: eine Besiedlung der Komoren durch Menschen aus Südostasien“, führt Nicole Boivin aus.

Noch sind viele Fragen offen. „Wir möchten herausfinden, wer diese Menschen waren und welchen Einfluss sie hatten“, sagt Alison Crowther. „Zu den Ereignissen, die möglicherweise mit der Ankunft der Menschen aus Südostasien in Zusammenhang stehen, gehört das Verschwinden von Madagaskars bekannter Megafauna, zu denen verschiedene Arten von riesigen Vögeln, Riesenlemuren und Riesenschildkröten gehören.“ Fragen wie diesen möchte das Team in weitere Forschungsarbeiten auf Madagaskar nachgehen.

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Quelle:
Petra Mader
Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte / Max Planck Institute for the Science of Human History

Einwanderung am Ende der Eiszeit

Forscher schreiben die genetische Geschichte der Menschen in Europa neu – auch mithilfe von Proben aus den Höhlen der Schwäbischen Alb.

Die einzige bis heute überlebende Menschenart, der anatomisch moderne Mensch, erreichte Europa erstmals vor rund 45.000 Jahren. Hier lebte er ununterbrochen bis heute – doch das ist nur ein Teil der Geschichte. Das verraten die Gene. Eine groß angelegte genetische Studie an Überresten von 51 Menschen, die vor 45.000 bis 7.000 Jahren lebten, ergab eine Reihe von überraschenden Befunden aus der komplexen Urgeschichte der Europäer. So muss es am Ende der Eiszeit vor rund 14.500 Jahren eine Wanderungsbewegung von Menschen aus dem Nahen Osten nach Europa gegeben haben, auf die bis vor kurzem jeglicher Hinweis fehlte. An der Studie war ein großes Forscherteam beteiligt, darunter eine Arbeitsgruppe von der Universität Tübingen unter der Leitung von Professor Johannes Krause, der auch Direktor am Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte in Jena ist. Unter den untersuchten frühen Europäern waren sieben Individuen, deren Überreste aus Höhlen der Schwäbischen Alb stammen. Die Studienergebnisse wurden in der Zeitschrift Nature veröffentlicht.

„Das Klima hat immer wieder Einfluss auf das Überleben und die Wanderungsbewegungen der modernen Menschen genommen“, sagt Johannes Krause. In Europa lebten sie sogar während des letzten Kaltzeitmaximums vor 25.000 bis 19.000 Jahren, als große Teile des Kontinents von Eis bedeckt waren. Doch die Forscher wussten aus früheren Untersuchungen, dass das Überleben teilweise nur in einzelnen Refugien möglich war. Solche Zurückdrängung und Wiederausbreitung spiegelt sich in den Genen. Um mehr zu erfahren, analysierte das Forscherteam in der neuen Studie das gesamte Erbgut der 51 prähistorischen Menschen. „Solche umfassenden genomweiten Daten lagen bisher nur für einige wenige Menschen aus der Zeit von der ersten Besiedlung Europas bis zum Einsetzen der Landwirtschaft vor rund 8.500 Jahren vor“, erklärt Johannes Krause. Denn die Analyse alter DNA ist in mehrerer Hinsicht eine große Herausforderung. Zum einen ist das Erbgut aus Jahrtausende alten menschlichen Überresten stark zerfallen und muss aufwendig rekonstruiert werden, zum anderen ist es mit der DNA von Mikroorganismen und möglicherweise von heute lebenden Menschen verunreinigt. Nur mithilfe der in den letzten Jahren stark verbesserten Verfahren und bei sorgfältiger Zuordnung der Erbinformationen erhalten die Forscher belastbare Ergebnisse.

„Besonders überraschend war ein Befund, der die Urgeschichte revolutioniert: In der Warmzeit vor 14.500 Jahren erscheint eine neue genetische Komponente in Europa, deren Spur in den Nahen Osten führt“, sagt Cosimo Posth, der die schwäbischen Knochen im Rahmen seiner Doktorarbeit im Labor in Tübingen aufarbeitete. Die genetischen Neuerungen bei den Europäern hatten zuvor andere Wissenschaftler mit Bevölkerungsumwälzungen in Europa selbst erklärt. „Doch nun ist klar, dass Menschen aus dem Nahen Osten nach Europa eingewandert sind und so bei der Vermischung ein neuer Genpool entstand.“

Weiterhin ergaben die Analysen, dass die frühesten modernen Menschen in Europa nicht substanziell zur Genausstattung heutiger Europäer beitrugen. Wie bereits eine frühere Studie anhand der Mitochondrien-DNA gezeigt hatte, stammen alle Individuen, die zwischen 37.000 und 14.000 Jahren alt sind, von einer einzelnen Gründerpopulation ab, die auch die Vorfahren heutiger Europäer bilden. „Wir sehen aber auch eine Kontinuität zwischen den ersten modernen Menschen Europas, die vor 40.000 bis 32.000 Jahren die wunderbare Kunst der Schwäbischen Alb geschaffen haben, und den Bewohnern West- und Zentraleuropas nach der Eiszeit, vor 18.000 bis 14.500 Jahren“, erklärt Krause. Zwischendurch habe sich eine Population hineingemischt, bekannt als Mammutjäger Osteuropas, die aber durch die Eiszeit vor 23.000 bis 19.000 Jahren zurückgedrängt worden sei. Das komplexe Bild der Genetik europäischer Menschen wollen die Forscher im nächsten Schritt mit ähnlichen Genomanalysen von urgeschichtlichen Menschen aus Südosteuropa und dem Nahen Osten weiter vervollständigen.

Mehr Infos gibt es hier.

Quelle:
Dr. Karl Guido Rijkhoek
Hochschulkommunikation
Eberhard Karls Universität Tübingen

Riesenhirsche lebten nach der Eiszeit noch in Deutschland

Tübinger Forscher rekonstruieren DNA des Megaloceros aus Höhlenfunden der Schwäbischen Alb und finden mögliche Ursachen für sein späteres Aussterben.

Das große Massensterben am Ende der letzten Eiszeit führte zum Verschwinden vieler Tierarten, darunter das Mammut, das Wollnashorn, die Höhlenbären und der bis zu 1,5 Tonnen schwere Megaloceros, auch Riesenhirsch oder Irischer Elch genannt. Die genauen Gründe für das Aussterben vieler Arten sind ungeklärt, wahrscheinlich ist dafür eine Kombination aus dem Klimawandel und der Bejagung durch den Menschen verantwortlich. Einige Tierarten überdauerten jedoch das Ende der letzten großen Kaltzeit etwas länger als andere. Zu diesen gehört der Riesenhirsch, der während der Eiszeit große Teile Eurasiens besiedelte. Er war auch nach der Eiszeit noch in Teilen Nordwesteuropas zu finden, bevor er vor rund 7.000 Jahren endgültig von der Bildfläche verschwand. Forschern der Universität Tübingen gelang es nun, mitochondriale Genome (mtDNA) aus 12.000 Jahre alten Hirschknochen von der Schwäbischen Alb zu isolieren und dadurch Details zu ihrer Verbreitung im Süden Deutschlands zu klären.

Die untersuchten Hirschknochen konnten bei Ausgrabungen in den Höhlen Hohle Fels und Hohlenstein-Stadel auf der Schwäbischen Alb geborgen werden. Der Riesenhirsch galt in dieser Gegend sowie in ganz Zentraleuropa seit dem Höhepunkt der letzten großen Kaltzeit vor 20.000 Jahren als ausgestorben. Wissenschaftler hielten die Funde zunächst für Elchknochen, da Elche zu der Zeit in Süddeutschland weit verbreitet waren. Die Rekonstruktion der mitochondrialen Genome durch das Forscherteam unter der Leitung von Johannes Krause vom Institut für Naturwissenschaftliche Archäologie und die anschließende genetische Analyse der DNA zeigten jedoch, dass es sich bei den Funden um Knochen der Riesenhirschart Megaloceros giganteus handelt. „Es ist nicht leicht, Elch und Riesenhirsch anhand der Form kleiner Knochenfragmente zu unterscheiden. Es könnte durchaus noch mehr Knochen geben, die bisher dem Elch zugeordnet wurden, aber vom Riesenhirsch stammen”, sagt Johannes Krause.

Weiterhin kamen bisherige Studien zu keinem klaren Ergebnis, mit welchen heutigen Hirschen der Riesenhirsch am engsten verwandt war. Die Tübinger Forscher erstellten einen Datensatz aus der DNA 44 moderner Hirsche und der beiden späteiszeitlichen Riesenhirsche, um daraus einen Stammbaum zu rekonstruieren. Dabei erwies sich der Damhirsch als der engste lebende Verwandte des Riesenhirsches. Diese Spezies ist in Vorderasien heimisch und wurde in Europa erst zu Zeiten des Absolutismus im 17. Jahrhundert als Jagdwild eingeführt. „Anhand des Körperbaus wurde spekuliert, ob der Rothirsch am nächsten mit dem Riesenhirsch verwandt sei, dies können wir in unserer Studie klar widerlegen”, sagt Alexander Immel aus der Arbeitsgruppe Krause.

Die Forscher untersuchten zusätzlich die Verhältnisse der stabilen Isotope des Kollagens, einem Strukturprotein, das einen wesentlichen Bestandteil der Knochen bildet. Sie verglichen die Kohlenstoff-13 und Stickstoff-15-Werte der Riesenhirschknochen aus den schwäbischen Höhlen mit de-nen von Rothirschen, weiteren Riesenhirschen und Rentieren, die zum Beginn und zum Ende der letzten Kaltzeit lebten. „Vor der letzten Kaltzeit unterschieden sich die Werte von allen drei Arten, danach zeigte sich eine klare Übereinstimmung – das deutet auf einen kleiner werdenden Lebensraum hin oder auf eine sich überschneidende Ernährungsweise der Hirscharten”, meint Dorothée Drucker aus der Biogeologie, die das Kollagen untersuchte.

Die Forscher spekulieren, dass sich die Riesenhirsche nach der letzten Kaltzeit den Lebensraum und die Nahrung mit anderen Hirscharten teilen mussten. Zudem war ihr bis zu 3,40 Meter spannendes Geweih wenig geeignet für das Leben im zunehmend bewaldeten Europa. Wahrscheinlich setzten dem Riesenhirsch die Konkurrenz mit anderen Arten sowie eine mögliche Überjagung durch Menschen zu, was letztlich zum Aussterben dieser imposanten Hirsche führte.

Weitere Infos zu den Riesenhirschen gibt es hier.

Quelle:

Dr. Karl Guido Rijkhoek
Hochschulkommunikation
Eberhard Karls Universität Tübingen

Was Feuersteine verraten können

Urgeschichtler der Universität Jena erforscht steinzeitliche Fundstellen in Westfalen.

Viele Spuren haben sie nicht hinterlassen, die Vormenschen, die nach der letzten Eiszeit auf dem Gebiet des heutigen Westfalen gelebt haben. Meist haben nur steinerne Artefakte bis heute überdauert.
Aus einer Reihe von Fundorten im Münsterland werden aktuell vier große und potenziell aussagekräftige Plätze von dem Archäologen Peter Balthasar von der Universität Jena untersucht.

Doktorand Peter Balthasar vom Bereich für Ur-und Frühgeschichte der Universität Jena erforscht steinzeitliche Fundstellen in Westfalen, aufgenommen in Jena am 19.05.2015. Foto: Anne Günther/FSU
Doktorand Peter Balthasar vom Bereich für Ur-und Frühgeschichte der Universität Jena erforscht steinzeitliche Fundstellen in Westfalen, aufgenommen in Jena am 19.05.2015. Foto: Anne Günther/FSU

„Unter 4.000 Artefakten lassen sich manchmal nur 50 bis 100 als Geräte einordnen“, sagt Peter Balthasar, der gerade an seiner Dissertation arbeitet. Die überwiegende Zahl der Fundstücke sind lediglich Werkabfälle, die jedoch detaillierte technologische Rückschlüsse zulassen. Zeitlich lassen sich die Fundorte einordnen: Sie werden auf die Zeit von 13.000 Jahre bis 10.000 Jahre vor heute datiert. Das heißt, der älteste Fundort wurde am Ende der letzten Eiszeit von den Vormenschen genutzt, der jüngste zu Beginn der Warmzeit, in der wir heute leben.

Die Arbeit von Peter Balthasar heißt „Untersuchung des Wandels der Steinartefaktgrundproduktion in der Westfälischen Bucht vom Spätpaläolithikum bis zum Mesolithikum“. Der Doktorand erhält dafür ein Stipendium des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe.

Vorrangiges Ziel ist es, die technologische Entwicklung nachzuvollziehen. Zu den Fragen, die Balthasar klären möchte, gehören zudem jene nach den Aktivitätszonen an der Fundstelle sowie fundplatzinterne Dynamiken. „Lässt sich eine Entwicklung in der Technologie der Steinbearbeitung feststellen, gibt es Kontinuitäten oder Brüche?“, fragt Peter Balthasar.

So gebe es die – auf den ersten Blick verblüffende Tatsache – dass ältere Steinwerkzeuge auf komplexere Art und Weise hergestellt wurden als neuere Stücke. Eine Bewertung dieser Funde sei jedoch schwierig: „Wir schauen nach Technokomplexen, betreiben lediglich Grundlagenforschung“, sagt Balthasar. Wer die Menschen waren, die aus Feuerstein Werkzeuge fertigten, lasse sich nicht sagen. Nur ihre Geräte aus Stein haben überdauert. Fest stehe jedoch, dass sich aufgrund des rasch wandelnden Klimas große Veränderungen in der Technologie der Steinbearbeitung nachweisen lassen. Die genaue Einordnung, die Peter Balthasar gerade vornimmt, kann später wichtige Rückschlüsse an anderen Fundstellen ermöglichen.

 

Quelle:
Stephan Laudien
Stabsstelle Kommunikation/Pressestelle
Friedrich-Schiller-Universität Jena

Von der Schließung bedroht

In Saarbrücken steht die Archäologie an der Universität des Saarlandes vor dem Aus! Zwei Petitionen wollen für den Erhalt kämpfen. Die Vor- und Frühgeschichte und die Klassische Archäologie bitten beide um Unterzeichnung und Verbreitung:

Zur Petition der Klassischen Archäologie geht es hier.

Zur Petition der Vor- und Frühgeschichte geht es hier.

Siedlungen aus dem späten Pleistozän in den Anden entdeckt

In den südlichen Anden Perus hat ein Archäologenteam unter der Beteiligung von Forschern der Universität Tübingen und dem Senckenberg Center for Human Evolution and Paleoenvironment (HEP) die höchstgelegenen menschlichen Eiszeitsiedlungen der Welt entdeckt. Die Siedlungsplätze liegen etwa 4.500 Meter über dem Meeresspiegel. Die neuen Ergebnisse zeigen, dass menschliche Behausungen bereits tausend Jahre früher als bisher gedacht in diesen Höhen existierten. Jäger und Sammler haben sich vor rund 12.000 Jahren, im späten Pleistozän, trotz tiefer Temperaturen, hoher Sonneneinstrahlung und niedrigen Sauerstoffwerten in der abgelegenen, baumlosen Landschaft niedergelassen – und das bereits 2.000 Jahre, nachdem die ersten Menschen Südamerika erreichten.

„Das Wissen über die Anpassung der Menschen an extreme Umweltbedingungen ist wichtig, um unsere kulturelle und genetische Leistungsfähigkeit fürs Überleben zu verstehen“, so das Forscherteam, das von Dr. Kurt Rademaker von der University of Maine geleitet wird, in der Fachzeitschrift Science. Rademaker ist zurzeit Gastwissenschaftler am Institut für Ur- und Frühgeschichte der Universität Tübingen im Rahmen des Programms „Teach at Tübingen“. Kurt Rademaker hat außerdem in diesem Jahr den Tübinger Förderpreis für Ältere Urgeschichte und Quartärökologie erhalten. Zusammen mit Christopher Miller, Juniorprofessor für Geoarchäologie am Institut für Naturwissenschaftliche Archäologie der Universität Tübingen und Mitglied des HEP, hat er die zwei neu entdeckten archäologischen Fundplätze im Pucuncho-Becken in den peruanischen Anden untersucht.

Einer der Fundplätze, als Pucuncho bezeichnet, liegt auf 4.355 Metern Höhe. Dort wurden 260 Steinwerkzeuge entdeckt, darunter bis zu 12.800 Jahre alte Geschossspitzen. Der zweite Fundplatz, der Cuncaicha-Felsen auf 4.480 Metern Höhe, barg gut erhaltene und sicher zu datierende Objekte, die vor bis zu 12.400 Jahren genutzt wurden. Der Felsüberhang, der Aussicht auf Feuchtgebiete und Wiesen bietet, hat rußgeschwärzte Decken und enthält künstlerische Felsdarstellungen. Er wurde vermutlich als Lagerstelle genutzt.

Christopher Miller analysierte Dünnschliffe von den Sedimenten dieses Felsüberhangs und identifizierte mikroskopisch kleine Aschereste, die von den Feuern der frühesten Höhlenbewohner stammten. „Diese Asche entstand vermutlich bei der Verbrennung von den dort vorkommenden Polsterpflanzen, die bis heute von den Einheimischen zu diesem Zweck genutzt werden“, sagt Miller. „Dieser Nachweis belegt die bemerkenswerten Fähigkeiten der frühen Andenbewohner, in einer extrem rauen Umgebung zu überleben.“ Die meisten Steinwerkzeuge von der Cuncaicha-Fundstelle waren aus dem vor Ort vorhandenen Obsidian, Andesit oder Jaspis gefertigt. Den Wissenschaftlern zufolge weisen die Werkzeuge auf Jagd und Schlachtung hin, was plausibel erscheint, da es auf dem Plateau sonst kaum Ernährungsmöglichkeiten gab. Knochen am Fundplatz lassen auf die Jagd von Vikunjas und Guanakos, beide aus der Familie der Kamele, sowie Andenhirschen schließen.

Das Pucuncho-Becken war eine hochgelegene Oase für spezialisierte Jäger, vor allem auf Vikunjas. Später könnten dort Herden domestizierter Alpakas und Lamas gehalten worden sein, so die Wissenschaftler. Die Gegend war für die ganzjährige Besiedlung geeignet, doch dürften die Menschen von Stürmen in der feuchten Jahreszeit, der Sorge vor Unterkühlung, zum Sammeln essbarer Pflanzen und dem Bedürfnis nach Gesellschaft regelmäßig zum Abstieg in geringere Höhen getrieben worden sein. Auf solche Ausflüge deuten Steinwerkzeuge und Überreste von Steinabschlägen unter den Funden hin, die von ortsfremden, feinkörnigen Felssteinen stammen. Die Plateaubewohner müssen sie aus dem Geröll tiefer gelegener Flüsse mitgebracht haben.

Es ist unklar, ob die Siedlung in großer Höhe den Menschen bestimmte genetische Anpassungen oder spezielle Fähigkeiten zur Anpassung an die Umwelt abverlangte. Der Nachweis der frühen menschlichen Siedlungen in großer Höhe könnte auch bedeuten, dass die späteiszeitlichen Gebiete in den Anden gemäßigter waren als bisher gedacht und die Menschen im Pleistozän größere physiologische Fähigkeiten mitbrachten, als man ihnen bisher zugetraut hatte.

Weitere Infos zu der Entdeckung in den peruanischen Anden gibt es hier. 

Quelle:
Dr. Karl Guido Rijkhoek
Hochschulkommunikation
Eberhard Karls Universität Tübingen