Ein Festgelage vor 10.000 Jahren

Neue Erkenntnisse zur Nahrungsproduktion frühneolithischer Jäger und Sammler am Göbekli Tepe, Türkei.

Bekannt vor allem durch seine Monumentalarchitektur hat der Göbekli Tepe wesentliche neue Einblicke in die Verwirklichung gemeinschaftlicher Großprojekte von Jägern und Sammlern vor etwa 12- bis 10000 Jahren gewährt. Die gewaltigen Steinmonumente dienten vermutlich als wichtige Versammlungsplätze für Rituale, Kommunikation und Austausch und sind eng mit dem Konzept von ‚work feasts‘ (Arbeitsfeste) verknüpft.

Aktuell gehen die Forscher davon aus, dass große Feste vor Ort ausgerichtet wurden, um die notwendigen Arbeitskräfte zu rekrutieren. Bisher beruhte der Nachweis für die Versorgung dieser Feste vor allem auf umfangreichem archäozoologischen Material: den oft zerbrochenen und verbrannten Knochen von Jagdwild, insbesondere Auerochsen und Gazellen.

Eine kürzlich im Rahmen des DFG-finanzierten Göbekli Tepe-Projekts des Deutschen Archäologischen Instituts abgeschlossene Studie (unter Mitwirkung der FU Berlin) konnte mit mehr als 7.000 Reibsteinen, Läufern, Mörsern und Stößeln eine außergewöhnlich große Anzahl solcher Geräte zur Verarbeitung pflanzlicher Nahrung untersuchen. Diese Ergebnisse weisen auf einst große Mengen verarbeiteten Getreides hin und schließen so die Lücke nur wenig erhaltener tatsächlicher Pflanzenreste. Ohne klar identifizierbare Vorratslager vor Ort belegen diese Ergebnisse, dass die Speisen nur zum unmittelbaren Verzehr während der Feste hergestellt wurden.  Dies ergänzt das aus den Tierknochen gewonnene Bild und stützt die Hypothese großer Feste anlässlich zeitlich begrenzter Treffen am Göbekli Tepe im Sommer und Herbst, wie auch die Anwesenheit saisonal wandernder Tiere wie Gazellen nahelegt.

Mehr Infos zu dem Göbekli Tepe-Projekt gibt es hier.

Quelle:
Nicole Kehrer M.A.
Leiterin Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Deutsches Archäologisches Institut
Berlin

Totenritual am Göbekli Tepe

Anthropologen des Deutschen Archäologischen Instituts entdecken rituelle Ritzungen an 11.000 Jahre alten menschlichen Schädeln.

Die Deutung des steinzeitlichen Kultplatzes Göbekli Tepe in der Südost-Türkei beschäftigt die Wissenschaft seit Jahrzehnten. Die monumentalen Anlagen mit ihren großartigen Tierornamenten weisen auch Darstellungen geköpfter Menschen auf, die auf eine Nutzung des Platzes im Rahmen von rituellen Handlungen deuten. Fragmente menschlicher Schädel, die im Bereich der Anlagen gefunden wurden, geben erste Hinweise auf einen neuartigen Totenkult.

Göbekli Tepe Südost-Senke
Göbekli Tepe Südost-Senke (Copyright DAI)

Vollständige Bestattungen fehlen bisher in Göbekli Tepe, allerdings konnten aus dem Füllmaterial, das sich in den großen Steinkreisen befand, etwa 700 menschliche Knochenfragmente geborgen werden. Abgesehen von anderen interessanten Veränderungen an den Knochen, wurden Schädelfragmente gefunden, die eine auffällige Besonderheit aufwiesen: Bei drei erwachsenen Individuen ziehen tiefe Ritzungen mittig über den Schädel. Die tiefen Kerben wurden grob mit Feuerstein geschnitten und sind vor allem an den prominenten Stellen der Schädel zu finden. Eine weitere Besonderheit ist ein gebohrtes Loch an der höchsten Stelle des besterhaltenen Schädels. Mikroskopische Untersuchungen belegen, dass alle Veränderungen nach dem Tod der Menschen durchgeführt wurden.

Was taten die Menschen vor 11.000 Jahren in den Steinkreisen zwischen den riesigen T-Pfeilern in Göbekli Tepe? Warum ritzten sie mit Feuerstein tiefe Spuren in die Schädel ihrer Vorfahren oder Feinde?

Der menschliche Schädel übt seit dem Paläolithikum bis heute eine besondere Faszination auf den Menschen aus. In vielen Gesellschaften werden die Schädel der Vorfahren oder der Feinde an einem besonderen Platz aufbewahrt oder ausgestellt. Zu diesem Zweck werden sie häufig aufwendig geschmückt. Die Schädel repräsentieren die Ahnen mit ihren beschützenden Eigenschaften oder aber auch die bösen Mächte der Feinde.
Im Neolithikum des Vorderen Orients spielte der Schädelkult eine wichtige Rolle. Auf verschiedenen Fundplätzen wurde bei vielen Bestattungen nachträglich der Schädel entfernt und an einem anderen Platz aufbewahrt. Schädel wurden häufig dekoriert, entweder durch Bemalung oder durch Nachbildung eines Gesichts aus Gips, der auf den Knochen aufgetragen wurde, wobei Muscheln die Augen bildeten.

Fragmente menschlicher Schädel mit Ritzungen
Fragment eines Schädels mit Ritzungen (J. Gresky/ Copyright DAI Zentrale)

Obwohl die Schädel von Göbekli Tepe nur stark fragmentarisch erhalten sind, lässt sich der Verlauf der Ritzungen rekonstruieren. Möglicherweise hatten sie eine praktische Funktion und dienten einer Schnur als Unterlage, mit der der Unterkiefer am Schädel befestigt wurde. Das Loch könnte eine Vorrichtung zum Aufhängen des Schädels gewesen sein. Abgesehen von dieser rein praktischen Interpretation ist auch eine Deutung der Ritzungen als aktiver Prozess der Stigmatisierung bestimmter Individuen möglich.

Auf die Wahrscheinlichkeit einer kultischen Bedeutung weist die Einzigartigkeit der Ritzungen der Schädelfragmente aus Göbekli Tepe hin. Sie lassen Rituale vermuten, die anscheinend eine große Bedeutung für die damalige Gesellschaft hatten und spezifisch für diesen Kultplatz waren. Die Tatsache, dass Vergleiche mit Schädelmodifikationen zeitgleicher Stätten im Vorderen Orient oder aus ethnographischen Berichten, keine Parallelen zeigen, unterstreicht die besondere Bedeutung der Schädelverzierungen und damit die Wichtigkeit des Fundplatzes Göbekli Tepe als kultisches Zentrum.

Göbekli Tepe ist Schwerpunkt eines DFG-Langzeitförderprojektes (Die frühholozäne Gesellschaft Obermesopotamiens und ihre Subsistenz) an der Orient Abteilung und der Abteilung Istanbul des Deutschen Archäologischen Institutes. Darüber hinaus umfasst das Projekt wissenschaftliche Untersuchungen zur Archäozoologie (LMU München) sowie zur physischen Geographie (Freie Universität Berlin). Sämtliche Forschungsarbeiten erfolgen in enger Zusammenarbeit mit der Generaldirektion für Kulturgüter und Museen des Ministeriums für Kultur und Tourismus in Ankara sowie mit dem Şanlıurfa Museum.

Weitere Infos zu den rituellen Ritzungen gibt es hier. 

Quelle:

Nicole Kehrer M.A.
Leiterin Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Deutsches Archäologisches Institut

Die steinzeitlichen Wurzeln der Schriftzeichen

Bereits vor 12.000 Jahren erschufen Steinzeitmenschen auf dem Berg Göbekli Tepe in der heutigen Türkei ein Höhenheiligtum, das sich einer entwickelten Bildsprache bediente. Prof. Dr. Ludwig Morenz, Ägyptologe an der Universität Bonn, stellt in seinem Buch dar, wie diese frühen Vorläufer der Schriftzeichen zu einer kulturellen Revolution im Denken und Handeln der Menschen führte.

Seit Urzeiten hat sich der Mensch für die Nachwelt verewigt: Vor Jahrzehntausenden hinterließen eiszeitliche Jäger ihre Höhlenmalereien. Über abstrakte Bildzeichen ging die Entwicklung allmählich weiter bis zur Schrift. Bereits vor mehr als 5.000 Jahren verwendeten die Altägypter Hieroglyphen als älteste Schriftzeichen. „Wie sich abstrakte Bildzeichen in Schriftzeichen wandelten, lag lange weitgehend im Dunkeln“, sagt Prof. Dr. Ludwig Morenz von der Abteilung für Ägyptologie der Universität Bonn.

Mit den Grabungen des Deutschen Archäologischen Instituts unter der Leitung von Prof. Dr. Klaus Schmidt von der Universität Erlangen-Nürnberg auf dem Berg Göbekli Tepe in Südanatolien kam ein steinzeitliches Heiligtum zum Vorschein. Nahe der heutigen türkischen Stadt Sanliurfa – dem antiken Edessa – errichteten Menschen gegen Ende der Eiszeit vor rund 12.000 Jahren mehrere monumentale Ringanlagen, die von T-förmigen, aus Kalkstein gefertigten Pfeilern beherrscht werden.

Fehlendes Bindeglied zwischen Bildern und Schrift

„Das Höhenheiligtum ist so etwas wie das fehlende Bindeglied zwischen Bildern und den ersten Schriftzeichen“, sagt Prof. Morenz, der zusammen mit Prof. Schmidt mehrere Jahre lang die in Göbekli Tepe entdeckten frühneolithischen Zeichen untersuchte. „Sie erlauben neue Einsichten in historische Tiefen der menschlichen Kommunikation.“ Häufig finden sich auf den T-Pfeilern in Flachreliefen dargestellte Tiere, darunter Schlangen, Skorpione, Füchse, Kraniche, Gazellen und Wildesel. Außerdem gibt es stärker abstrahierte Zeichen wie Tiere, Hände oder die Kombination aus Mondscheibe und -sichel.

„Es handelt sich dabei um einen Sprung in eine neue mediale Welt“, sagt der Experte für Bildersprache und Zeichentheorie. Immerhin sei diese frühe Form der Bildzeichen mehr als doppelt so alt wie die ältesten Schriftzeichen der Altägypter. Zum Ende der Eiszeit wurden Grundlagen gelegt, auf denen die spätere kulturelle Revolution aufbauen konnte. Prof. Morenz: „Göbekli Tepe steht für die Entwicklung von reinen Bildern zur Kodierung von darüber hinaus gehender Bedeutung.“ Während es sich bei der Darstellung eines Stieres etwa in der Höhle von Altamira in Spanien um das direkte Abbild des Tieres handelt, sei ein Stierkopf in dem Höhenheiligtum der Türkei von der primären Bildbedeutung losgelöst als abstraktes Symbol für eine Gottheit zu verstehen.

Bereits vor 12.000 Jahren gab es ein einheitliches Zeichensystem

Der Ägyptologe der Universität Bonn untermauert seine These mit der Tatsache, dass insgesamt rund 20 verschiedene Bildzeichen in ähnlicher Form auch noch in anderen frühneolithischen Fundorten im Umkreis von 150 Kilometern um das Höhenheiligtum Göbekli Tepe herum entdeckt wurden. In dieser fruchtbaren Landschaft zwischen den Oberläufen von Euphrat und Tigris wurden Menschen früh sesshaft. Sie teilten in den verschiedenen Siedlungen mit leichten Abwandlungen die gleichen Bildzeichen. „Das kann kein Zufall sein, die Menschen dieses Kulturraumes müssen sich auf ein einheitliches Zeichensystem geeinigt haben“, ist Prof. Morenz überzeugt.

Die Bildzeichen könnten gleichzeitig mehrere Bedeutungen haben: Ein Schlange stehe einerseits für Bedrohung, könne aber auch als Zeichen für etwas Abwesendes verstanden werden – weil der Abdruck der Schlange im Sand verbleibt, wenn das Tier längst weitergezogen ist. Das Abbild einer abstrahierten Hand lasse sich als Geste – etwa von Abwehr – interpretieren. Manche Zeichen waren in kleine, flache Steine geritzt – quasi als „Heiligtum für die Hosentasche“. „Bei dieser frühen Bildsprache handelt es sich aber noch um keine Schriftzeichen“, stellt Prof. Morenz fest. Schriftzeichen seien noch einmal deutlich differenzierter und umfassten auch die lautliche Dimension, das heißt wie ein bestimmtes Zeichen ausgesprochen wird.

Göbekli Tepe zeigt nach den Untersuchungen des Ägyptologen eindrücklich, wie komplex und spezialisiert bereits die steinzeitliche Gesellschaft vor rund 12.000 Jahren war. „Der Gebrauch von Sprache, Hand und Hirn gingen mit einander einher“, sagt Prof. Morenz. In dem Maß, wie sich die Menschen damals mit großem handwerklichen und intellektuellem Geschick eine abstrakte Bildsprache schufen, drangen sie jenseits der Herausforderungen des Alltags in religiöse Sphären vor und stellten sich bereits den Grundfragen der Menschheit nach dem Jenseits. „Es handelt sich um den Beginn der medialen Entwicklung und um den Aufbruch in neue Denkräume“, sagt Prof. Morenz.

Weitere Infos gibt es hier.

Quelle:
Johannes Seiler
Dezernat 8 – Hochschulkommunikation
Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn