Kaukasus: Kultureller Austausch über biologische Grenzen hinweg

Paläogenetische Untersuchungen bezeugen die komplexe Interaktion von Bevölkerungsgruppen der eurasischen Steppe und der vorderasiatischen Bergländer in der Bronzezeit.

Ein internationales Forschungsteam koordiniert von der Eurasien-Abteilung des Deutschen Archäologischen Instituts (DAI) in Berlin und dem Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte in Jena (MPI-SHH) konnte erstmals systematische paläogenetische Untersuchungen im Kaukasus durchführen. Die am 4. Februar in Nature Communications erscheinende Studie fußt auf den Analysen genomweiter Daten von 45 Individuen aus der Steppen- und der Gebirgszone des Nordkaukasus. Die zwischen 6500 und 3500 Jahre alten Skelette zeigen, dass die genetische Signatur in den nördlichen Bergflanken den Gruppen südlich des Kaukasus ähnelt und dort eine scharfe genetische Grenze zu den Steppengebieten im Norden verläuft.

Der Kaukasus ist in genetischer, wie in kultureller Hinsicht eine entscheidende Schnittstelle für die Geschichte Europas. Heute eine der Regionen mit der höchsten linguistischen Vielfalt, waren frühere Bevölkerungsgruppen an der Ausprägung der genetischen Komponenten, die heutige Europäer entscheidend prägen, maßgeblich beteiligt. Aus und über den Kaukasus gelangten in der Vorgeschichte auch entscheidende Innovationen, wie die ersten hoch wirksamen Metallwaffen oder Rad und Wagen, nach Europa.
„Wir gehen davon aus, dass sich im Zug der Neolithisierung, also mit dem Aufkommen von Ackerbau und Viehzucht zu Beginn der Jungsteinzeit, aber spätestens im 5. Jahrtausend v. Chr. Bevölkerungsgruppen aus dem Süden über das Gebirge nach Norden ausbreiteten und dort auf diejenigen der eurasischen Steppe trafen“, sagt Studienleiter Wolfgang Haak, Gruppenleiter für Molekulare Anthropologie am MPI Jena. „Die genetische Grenze entspricht im Prinzip den öko-geographischen Regionen. Interessanterweise ist heute dagegen der Kaukasus selbst eine Barriere für Genfluss.“
Über die Jahrhunderte hinweg entstand eine Interaktionszone, in der die Traditionslinien der Hochkulturen Mesopotamiens auf diejenigen der Steppe trafen. Diese Verflechtung wird im kulturellen Austausch und im Transfer von technischen und sozialen Innovationen deutlich, die – und dies zeigt die Studie unmissverständlich – auch über biologische Grenzen hinweg stattfand.

Kulturelle Kontaktzone, genetische Grenzregion

Die untersuchten Skelette stammen aus verschiedenen bronzezeitlichen Kulturen, von denen insbesondere die Majkop-Kultur aufgrund ihrer spektakulären Funde als eine Einwanderung aus Mesopotamien galt.
Die durchgeführten paläogenetischen Untersuchungen zeigen nun ein differenzierteres Bild der Mobilität in der Bronzezeit. Bereits in der Kupferzeit des 5. Jahrtausend v. Chr. kamen Menschen aus dem Süden über den Kamm des Kaukasus in den Norden. Sie bildeten offenbar auch die Grundlage für die frühbronzezeitliche Majkop-Kultur im 4. Jahrtausend v. Chr. Die mit dieser Kultur verbundenen Menschen unterscheiden sich genetisch klar von den Bevölkerungen aus dem nördlich anschließenden Steppenbereich.
„Die genetischen Untersuchungen geben allerdings keine Anhaltspunkte für umfangreiche Migrationsbewegungen aus dem Süden oder später aus dem Nordwesten wie dies von verschiedenen Archäologen postuliert wurde. Dies hat erhebliche Auswirkungen auf das Verständnis der nordkaukasischen Kulturentwicklung im 4. Jahrtausend v. Chr.“, erläutert Prof. Dr. Dr. h.c. Svend Hansen, Direktor der Eurasien-Abteilung des DAI, die Ergebnisse der Studie.
„Bemerkenswert“, so Hansen weiter, „ist auch der genetische Nachweis für Kontakte zwischen Menschen im Steppen-Gebiet und einer westlichen Kulturgruppe, mutmaßlich der Kugelamphoren-Kultur Ende des 4.  oder frühen 3. Jahrtausends v. Chr. Einzelne Individuen der Jamnaja-Kultur zeigen geringe Anteile westlicher Genkomponenten, die von Westen nach Osten gelangt sein müssen. Dies bestätigt bestens die auch im archäologischen Fundbild erkennbare Kommunikation sowie die Verbreitung technischer Innovationen. Diese Kontakte fanden lange vor der Ausbreitung der Jamnaja-Kultur nach Westen statt.“
Im 3. Jahrtausend v.Chr. führen neue Bevölkerungsgruppen aus der Steppe in Europa zu einer grundlegenden Veränderung der Bevölkerung. Für die Südgrenze der Steppenzone im Kaukasus können mit der neuen Studie nun ähnliche Veränderungen belegt werden. „Vor 4800 Jahren trennen sich im Nordkaukasus jedoch nicht genetisch unterschiedliche Bevölkerungen, sondern Menschen mit vergleichbarer genetischer Signatur ordnen sich unterschiedlichen archäologischen Kulturen zu“, sagt Sabine Reinhold, Co-Leiterin des archäologischen Teams. „Individuen, die nach der Ausstattung ihrer Gräber der Jamnaja- oder Katakombengrab-Kultur in der Steppe angehören, sind genetisch kaum von solchen der Nordkaukasischen Kultur in den Vorbergen und im Gebirge zu unterschieden. Lokale beziehungsweise globale kulturelle Zuordnungen waren offenbar wichtiger als biologische Wurzeln.“

Genfluss aus dem Westen trägt zur Formierung früher Jamnaja-Gruppen im Kaukasus bei

Die massiven Bevölkerungsverschiebungen im 3. Jahrtausend v. Chr., die im Zusammenhang mit der Expansion der Jamnaja-Gruppen aus der Steppe stehen, wurden lange Zeit mit dem Transfer bedeutender technologischer Innovationen aus Mesopotamien nach Europa in Verbindung gebracht. Aktuelle Studien an der Eurasien-Abteilung des DAI zur Verbreitung früher Wagen oder Metallwaffen haben jedoch gezeigt, dass ein intensiver Austausch zwischen Europa, dem Kaukasus und Mesopotamien viel früher begann. Lassen sich für diese Verbindungen auch im genetischen Befund Indizien erbringen? Wenn ja, in welche Richtung weisen diese?
Im Erbgut der Jamnaja-Individuen aus der Vorkaukasus-Steppe finden sich in der Tat Spuren die ebenfalls charakteristisch für die benachbarten neolithischen Bevölkerungsgruppen Südosteuropas sind. Detailanalysen zeigen nun, dass der Genfluss, der zu diesen Anteilen bei den kaukasischen Individuen geführt hat, nicht in Verbindung zur Majkop-Bevölkerung zu bringen ist, sondern aus den westlich angrenzenden Regionen Europas stammen muss.
„Das sind überraschende genetische Befunde, die die Komplexität der Genese der Pastoralisten der Steppe aufzeigen“ sagt Populationsgenetiker Chuancho Wang, Erstautor der Studie am MPI für Menschheitsgeschichte und nun Professor an der Universität Xiamen in China.
Mit diesem Befund wird deutlich, dass die Steppenzone lange vor der massiven Ausbreitung der Jamnaja und verwandter Gruppen bis an den Atlantik ein eng verbundener Interaktionsraum war. Die technischen Innovationen des 4. Jahrtausend v. Chr. zirkulierten in einem Netzwerk, in dem Menschen wie Ideen ausgetauscht wurden – und dies nicht nur in eine Richtung. So finden sich in Individuen aus den trockenen Steppengebieten im Nordosten Hinweise auf genetische Einflüsse, die tiefe Wurzeln in Sibirien haben und dadurch auch in genetischer Verwandtschaft mit Nordostasiaten und indigenen Bevölkerungen Amerikas stehen. „Das zeigt, dass Eurasien noch viele spannende Kapitel birgt, die wir geduldig und in enger Zusammenarbeit mit unseren Kollegen aus Archäologie und Anthropologie beschreiben wollen“, sagt Prof. Johannes Krause, Direktor am MPI für Menschheitsgeschichte und Co-Leiter der Studie.

Mehr Infos zu den Untersuchungen im Kaukasus gibt es hier.

Quelle:

Nicole Kehrer
Leitung Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Deutsches Archäologisches Institut

Im Leben und im Tod vereint

Neolithisches Großgrab in Spanien erstmals umfassend ausgewertet

Die Menschen der Jungsteinzeit vor rund 6000 Jahren waren im Leben und Tod eng miteinander verbunden. Darauf weist eine detaillierte anthropologische Studie eines Kollektivgrabs mit rund 50 Toten bei Burgos in Nordspanien hin, welche die Lebensweise des Orts erstmals mit modernen Methoden untersuchte. Die in der Fachzeitschrift PLOS ONE veröffentlichten Forschungen wurden von Anthropologen der Universität Basel und Archäologen der Universität Valladolid geleitet.

Die Kollektivgräber der Jungsteinzeit waren meist Steinbauten, deren Inneres Raum für viele Verstorbene einer Gemeinschaft bot – so auch das Grosssteingrab in Alto de Reinoso bei Burgos. Nach der Datierung anhand von Radiokarbondaten wurde das Grab über rund drei bis vier Generationen zwischen 3700 und 3600 v. Chr. genutzt. Bei den Toten handelte es sich um mindestens 47 Individuen. «Während die untere Schicht relativ gut erhalten war, wurden in höheren Schichten zahlreiche Störungen beobachtet: so etwa zahlreiche fehlende Schädel, was mit einem ausgeprägten Ahnenkult zusammenhängen könnte», berichtet Prof. Manuel Rojo Guerra, Professor in Valladolid, Spanien.

Lebensweise erschlossen

Um die Lebensweise der neolithischen Gemeinschaft zu erschliessen, konnten die Archäologen individuelle Daten wie Alter, Geschlecht, Körperhöhe, Krankheiten, Stressmarker und Gewaltfolgen mit modernen Methoden erfassen. Diese Angaben wurden ergänzt durch Daten zu Ernährung, Herkunft und Mobilität sowie Verwandtschaftsverhältnissen. «Damit ist dies die erste Studie, die ein eingehendes Bild davon gibt, wie die Menschen dieser neolithischen Gemeinschaft in Leben und Tod miteinander verbunden waren», sagt Erstautor Prof. Kurt W. Alt, Gastprofessor an der Universität Basel.

Knapp die Hälfte der Toten im Grab waren Erwachsene, die andere Hälfte Kinder und Jugendliche. Die durchschnittliche Körperhöhe betrug 159 ± 2 cm für Männer und 150 ± 2 cm für Frauen. Die Erwachsenen zeigen Stressmarker und unterschiedliche Stadien von degenerativen Erkrankungen der Wirbelsäule und der Gelenke, verheilte Frakturen, Schädelverletzungen und Zahnerkrankungen wie Karies.

Einheitliche Gemeinschaft

Die molekulargenetischen Untersuchungen zeigen zudem verwandtschaftliche Beziehungen zwischen Individuen der Gruppe vor allem in der mütterlichen Linie. Darüber hinaus ist für einige Fälle belegt, dass zwischen Toten, die nahe beieinander bestattet waren, eine engere genetische Verwandtschaft bestand. Ausser drei Individuen sind die Verstorbenen in der näheren Umgebung des Kollektivgrabs aufgewachsen. Die Rekonstruktion der Ernährung zeigten die einheitliche Struktur der bäuerlichen Gemeinschaft: Grundnahrungsmittel für alle waren Getreide (Weizen und Gerste) und tierische Proteine (besonders von Schaf, Ziege und Schwein).

Weitere Infos zu dem neolithischen Grab gibt es hier.

Quelle:
lic. phil. Christoph Dieffenbacher
Kommunikation & Marketing
Universität Basel

Neolithische Siedlung im Nil-Delta größer als bisher angenommen

Im Nil-Delta lassen sich im größeren Umfang Spuren einer neolithischen Besiedlung der sogenannten Merimde-Kultur nachweisen. Das ist das Ergebnis von Feldforschungen und Archivstudien, die Prof. Dr. Joanne Rowland, Professorin für Ägyptologie an der Freien Universität Berlin, im Rahmen eines Forschungsprojektes des Exzellenzclusters Topoi durchgeführt hat. Bestätigung dafür brachte vor allem auch ein Grabungsschnitt, der im Sommer 2014 unter der Leitung von Joanne Rowland in Zusammenarbeit mit dem ägyptischen Ministerium für Altertümer durchgeführt wurde.

Er zeigt Spuren von Besiedlung 200 Meter südwestlich der bisher angenommen Besiedlungsgrenze. Die Grabung fand unter der Federführung der britischen Egypt Exploration Society (EES) statt und wurde von der Fritz Thyssen Stiftung, dem Center for International Cooperation der Freien Universität sowie dem Exzellenzcluster Topoi der Freien Universität Berlin und Humboldt-Universität zu Berlin gefördert.

Die Wissenschaftler um Joanne Rowland, darunter auch Dr. Geoffrey Tassie und Sebastian Falk, wollen nun herausfinden, ob die ersten Menschen, die in diesem Gebiet bereits vor dem Neolithikum als Jäger und Sammler lebten, auch noch präsent waren, als sich die ersten Gruppen dort dauerhaft niederließen. Zudem gehen sie Gründen für die Sesshaftwerdung nach und ob veränderte Umweltbedingungen dazu beitrugen. Durch Analysen im nächsten Sommer soll zudem näher bestimmt werden, ob der neu entdeckte Bereich von Anfang an Teil des Siedlungsgebiets war oder ob die Bewohner des Merimde Beni Salama erst später dorthin auswichen.

Dafür arbeiten die Archäologen eng mit Naturwissenschaftlern zusammen: „Der Einsatz von naturwissenschaftlichen Methoden in Kombination mit der Berücksichtigung von Archivmaterial ermöglicht uns neue Perspektiven auf die Entwicklung des Neolithikum in Ägypten“, sagt Joanne Rowland.

Ziel des Forschungsprojektes „Das Nil-Delta im Neolithikum“ ist es, geographische Bedingungen und Umweltfaktoren bei der Rekonstruktion der Besiedlungsgeschichte des Ortes stärker einzubeziehen. Dafür betrachten die Wissenschaftler nicht nur die neolithische Merimde-Kultur (5.300 bis 4.000 v. Chr.), sondern auch die Zeit bis 9.000 v. Chr. (Epipaläolithikum), jene Zeit, in der ein Übergang von den Jägern und Sammlern zu sesshaften Bauern stattfand.

Die neolithische Siedlung Merimde Beni Salama liegt 45 Kilometer nordwestlich von Kairo und wurde 1928 von dem deutschen Archäologen Hermann Junker entdeckt. Die Grabung im Sommer 2014 wurde möglich, weil eine Gas-Pipeline durch die Region gelegt wurde.

 

Quelle:

Dr. Nina Diezemann
Stabsstelle für Presse und Kommunikation
Freie Universität Berlin