Neue Kunst aus der Eiszeit

15.000 Jahre alte Frauenfigur im Ostalbkreis geborgen ‒ Tübinger Archäologen präsentieren Fund aus Waldstetten

Archäologen der Universität Tübingen haben ein Fundstück aus der Gemeinde Waldstetten als 15000 Jahre altes Kunstwerk aus der Eiszeit identifiziert. Die Frauenfigur vom Typ Gönnersdorf zeigt gleichzeitig einen stark vereinfachten Frauenkörper und einen Phallus. Figuren dieser Art sind bereits aus Fundstätten in Europa bekannt, erstmals wurde nun ein Exemplar im Ostalbkreis gefunden. In einer Pressekonferenz präsentierten am Mittwoch Professor Harald Floss (Abteilung Ältere Urgeschichte und Quartärökologie der Universität Tübingen) und sein Team den Fund gemeinsam mit Vertretern der Gemeinde Waldstetten und des „Arbeitskreis Steinzeit Schwäbisch Gmünd“.

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Die Frauenfigur vom Typ Gönnersdorf (Foto: Simon Fröhle)

Geborgen wurde die Figur durch den Amateurarchäologen Adolf Regen. Insgesamt hatte er an die Wissenschaftler ca. 2000 Funde übergeben, von denen ein Teil aus dem Magdalénien stammt, einer Kulturstufe zum Ende der Altsteinzeit (ca. 18000-12000 v. Chr.) und vom Ende der letzten Eiszeit. Die Figur ist knapp sechs Zentimeter groß und besteht aus einem Quarzitgeröll, das so auf der Fundstelle nicht vorkommt. Der Form nach entspricht sie den so genannten Frauenfiguren vom Typ Gönnersdorf, die nach einer Fundstelle am Mittelrhein benannt wurden und stark stilisiert sind: Von der natürlichen Form des Gerölls inspiriert, machen hier nur wenige eingravierte Linien aus einem typisch geformten Stein ein Kunstwerk. Die Darstellung reicht von anatomisch annähernd vollständigen Darstellungen bis hin zu Figuren, die nur aus Rumpf und Gesäß bestehen.

So zeigt der Fund aus Waldstetten nur einen Oberkörper ohne Kopf, einen dominanten Mittelteil mit Gesäß und einen verkürzten Unterkörper im Profil. Mit einer umlaufenden Gravierung im oberen Bereich folgt er zudem einer Tradition der zweigeschlechtlichen Darstellung, die aus der europäischen Eiszeitkunst bekannt ist ‒ die Figur kann gleichzeitig als männliches Geschlechtsteil interpretiert werden.

„Diese Art der Abstrahierung zeichnet die Kunst am Ende der Eiszeit aus. Unser Typ Frauenfigur hat wenig mit den üppigen so genannten Venusfiguren aus der früheren Epoche des Gravettien gemein“, sagte Archäologe Harald Floss. Frauenfiguren des Typs Gönnersdorf folgten in ihrer geografischen Verbreitung der des Magdalénien und fänden sich von den Pyrenäen bis nach Osteuropa. In Süddeutschland kenne man sie zum Beispiel vom Petersfels bei Engen im Hegau. „Die Figur von Waldstetten ist als ein solches Kunstwerk einzuordnen. Dafür sprechen die absolut typische Form, die Lage in einer Konzentration von magdalénienzeitlichen Funden und mehrere umlaufende Gravierungen, die von Menschen angebracht wurden.“

Harald Floss leitet ein archäologisches Großprojekt zur Erforschung des Freilandpaläolithikums in Baden-Württemberg, das vom Landesamt für Denkmalpflege, der baden-württembergischen Förderstiftung Archäologie und dem Archäologischen Landesmuseum Baden-Württemberg gefördert wird. Eine Schwerpunktregion ist der Ostalbkreis, der in der Altsteinzeitforschung bislang wenig im Mittelpunkt stand. Durch eine Kooperation mit dem „Arbeitskreis Eiszeit in Schwäbisch Gmünd“ waren Floss und sein Team auf die Fundstelle in Waldstetten aufmerksam geworden. Die Frauenfigur ist erst der zweite Fund eines Eiszeitkunstwerkes im Ostalbkreis, nach der Skulptur einer Dasselfliegenlarve aus Gagat von der Kleinen Scheuer im Rosenstein (Stadt Heubach). Die Waldstettener Funde werden derzeit von den Doktoranden Simon Fröhle und Stefan Wettengl an der Universität Tübingen untersucht. Eine Intensivierung der Forschungen in der Region ist geplant.

Quelle:
Antje Karbe
Hochschulkommunikation
Eberhard Karls Universität Tübingen

Schädelform als Zeichen der Zugehörigkeit

ForscherInnen untersuchen Individuen, die zur Zeit der Völkerwanderung lebten.

Unter der Leitung von Ron Pinhasi von der Universität Wien sowie Mario Novak vom Institute for Anthropological Research in Zagreb untersuchte ein WissenschafterInnenteam die Ernährungsgewohnheiten, das Geschlecht und die Genverwandtschaften dreier Jugendlicher, die zur Zeit der Völkerwanderung im 5. Jahrhundert lebten und bei einer Ausgrabung in Osijek im Osten Kroatiens entdeckt wurden. Zu dieser Zeit war diese Region Europas von unterschiedlichen Nomadenvölkern, wie von den Hunnen bzw. Germanen, den Gepiden und den Ostgoten, besiedelt.

„Aufgrund der ungewöhnlichen Grabstätten und der Tatsache, dass zwei der untersuchten Individuen andere Formen von künstlicher Schädeldeformation aufwiesen, war die Untersuchung dieser Personen äußerst faszinierend für uns“, sagt Daniel Fernandes, Postdoc am Department für Evolutionäre Anthropologie der Universität Wien.

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Der langgezogene Schädel bei der Ausgrabung
© D. Los/Kaducej Ltd

„Die künstliche Schädeldeformation bezeichnet die absichtliche Verformung des Schädels im Kindesalter und zielt darauf ab, durch den Einsatz von Brettern, Bandagen oder speziellen Kopfbedeckungen eine gewünschte Schädelform zu erzielen“, so Kendra Sirak, Wissenschaftlerin an der Harvard Medical School. Dieses weit verbreitete kulturelle Phänomen wurde bei verschiedenen uralten Bevölkerungsgruppen weltweit dokumentiert und zielte darauf ab, die Zugehörigkeit zu einer Gruppe oder die persönliche Identität sichtbar zu machen, also sich z.B. klar von anderen Volksgruppen abzugrenzen oder den eigenen Status, Adel oder die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Klasse oder Gruppe zu zeigen.

„Während alle Skelette der drei Jugendlichen Anzeichen auf schwere Unterernährung aufweisen, war für uns verblüffend, dass ihre genetische Abstammung derart unterschiedlich ist“, so Mario Novak, Bioarchäologe am Institute for Anthropological Research in Zagreb.

„Die DNA-Analysen haben ergeben, dass der Jugendliche ohne künstliche Schädeldeformation eine überwiegend westeuropäische Abstammung, der Jugendliche mit der langgezogenen Schädelform eine ostasiatische Abstammung und der dritte Jugendliche eine nahöstliche Abstammung aufweist“, erklärt Ron Pinhasi, Leiter des DNA-Labors an der Universität Wien.

Der Jugendliche mit ostasiatischer Abstammung ist zudem das erste in Europa gefundene Individuum aus der Zeit der Völkerwanderung, dessen Abstammung größtenteils auf Ostasien zurückgeht.

„Diese Ergebnisse legen nahe, dass die künstliche Schädeldeformation möglicherweise dazu diente, die Zugehörigkeit zu einer bestimmten kulturellen Gruppe sichtbar zu machen, und dass diese Gruppen zur Zeit der Völkerwanderung in der Pannonischen Tiefebene miteinander in regem Kontakt standen“, schließt Novak.

Zu der Studie in „PLOS ONE“ geht es hier.

Quelle:

Alexandra Frey
Öffentlichkeitsarbeit
Universität Wien

Ein Festgelage vor 10.000 Jahren

Neue Erkenntnisse zur Nahrungsproduktion frühneolithischer Jäger und Sammler am Göbekli Tepe, Türkei.

Bekannt vor allem durch seine Monumentalarchitektur hat der Göbekli Tepe wesentliche neue Einblicke in die Verwirklichung gemeinschaftlicher Großprojekte von Jägern und Sammlern vor etwa 12- bis 10000 Jahren gewährt. Die gewaltigen Steinmonumente dienten vermutlich als wichtige Versammlungsplätze für Rituale, Kommunikation und Austausch und sind eng mit dem Konzept von ‚work feasts‘ (Arbeitsfeste) verknüpft.

Aktuell gehen die Forscher davon aus, dass große Feste vor Ort ausgerichtet wurden, um die notwendigen Arbeitskräfte zu rekrutieren. Bisher beruhte der Nachweis für die Versorgung dieser Feste vor allem auf umfangreichem archäozoologischen Material: den oft zerbrochenen und verbrannten Knochen von Jagdwild, insbesondere Auerochsen und Gazellen.

Eine kürzlich im Rahmen des DFG-finanzierten Göbekli Tepe-Projekts des Deutschen Archäologischen Instituts abgeschlossene Studie (unter Mitwirkung der FU Berlin) konnte mit mehr als 7.000 Reibsteinen, Läufern, Mörsern und Stößeln eine außergewöhnlich große Anzahl solcher Geräte zur Verarbeitung pflanzlicher Nahrung untersuchen. Diese Ergebnisse weisen auf einst große Mengen verarbeiteten Getreides hin und schließen so die Lücke nur wenig erhaltener tatsächlicher Pflanzenreste. Ohne klar identifizierbare Vorratslager vor Ort belegen diese Ergebnisse, dass die Speisen nur zum unmittelbaren Verzehr während der Feste hergestellt wurden.  Dies ergänzt das aus den Tierknochen gewonnene Bild und stützt die Hypothese großer Feste anlässlich zeitlich begrenzter Treffen am Göbekli Tepe im Sommer und Herbst, wie auch die Anwesenheit saisonal wandernder Tiere wie Gazellen nahelegt.

Mehr Infos zu dem Göbekli Tepe-Projekt gibt es hier.

Quelle:
Nicole Kehrer M.A.
Leiterin Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Deutsches Archäologisches Institut
Berlin

Kaukasus: Kultureller Austausch über biologische Grenzen hinweg

Paläogenetische Untersuchungen bezeugen die komplexe Interaktion von Bevölkerungsgruppen der eurasischen Steppe und der vorderasiatischen Bergländer in der Bronzezeit.

Ein internationales Forschungsteam koordiniert von der Eurasien-Abteilung des Deutschen Archäologischen Instituts (DAI) in Berlin und dem Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte in Jena (MPI-SHH) konnte erstmals systematische paläogenetische Untersuchungen im Kaukasus durchführen. Die am 4. Februar in Nature Communications erscheinende Studie fußt auf den Analysen genomweiter Daten von 45 Individuen aus der Steppen- und der Gebirgszone des Nordkaukasus. Die zwischen 6500 und 3500 Jahre alten Skelette zeigen, dass die genetische Signatur in den nördlichen Bergflanken den Gruppen südlich des Kaukasus ähnelt und dort eine scharfe genetische Grenze zu den Steppengebieten im Norden verläuft.

Der Kaukasus ist in genetischer, wie in kultureller Hinsicht eine entscheidende Schnittstelle für die Geschichte Europas. Heute eine der Regionen mit der höchsten linguistischen Vielfalt, waren frühere Bevölkerungsgruppen an der Ausprägung der genetischen Komponenten, die heutige Europäer entscheidend prägen, maßgeblich beteiligt. Aus und über den Kaukasus gelangten in der Vorgeschichte auch entscheidende Innovationen, wie die ersten hoch wirksamen Metallwaffen oder Rad und Wagen, nach Europa.
„Wir gehen davon aus, dass sich im Zug der Neolithisierung, also mit dem Aufkommen von Ackerbau und Viehzucht zu Beginn der Jungsteinzeit, aber spätestens im 5. Jahrtausend v. Chr. Bevölkerungsgruppen aus dem Süden über das Gebirge nach Norden ausbreiteten und dort auf diejenigen der eurasischen Steppe trafen“, sagt Studienleiter Wolfgang Haak, Gruppenleiter für Molekulare Anthropologie am MPI Jena. „Die genetische Grenze entspricht im Prinzip den öko-geographischen Regionen. Interessanterweise ist heute dagegen der Kaukasus selbst eine Barriere für Genfluss.“
Über die Jahrhunderte hinweg entstand eine Interaktionszone, in der die Traditionslinien der Hochkulturen Mesopotamiens auf diejenigen der Steppe trafen. Diese Verflechtung wird im kulturellen Austausch und im Transfer von technischen und sozialen Innovationen deutlich, die – und dies zeigt die Studie unmissverständlich – auch über biologische Grenzen hinweg stattfand.

Kulturelle Kontaktzone, genetische Grenzregion

Die untersuchten Skelette stammen aus verschiedenen bronzezeitlichen Kulturen, von denen insbesondere die Majkop-Kultur aufgrund ihrer spektakulären Funde als eine Einwanderung aus Mesopotamien galt.
Die durchgeführten paläogenetischen Untersuchungen zeigen nun ein differenzierteres Bild der Mobilität in der Bronzezeit. Bereits in der Kupferzeit des 5. Jahrtausend v. Chr. kamen Menschen aus dem Süden über den Kamm des Kaukasus in den Norden. Sie bildeten offenbar auch die Grundlage für die frühbronzezeitliche Majkop-Kultur im 4. Jahrtausend v. Chr. Die mit dieser Kultur verbundenen Menschen unterscheiden sich genetisch klar von den Bevölkerungen aus dem nördlich anschließenden Steppenbereich.
„Die genetischen Untersuchungen geben allerdings keine Anhaltspunkte für umfangreiche Migrationsbewegungen aus dem Süden oder später aus dem Nordwesten wie dies von verschiedenen Archäologen postuliert wurde. Dies hat erhebliche Auswirkungen auf das Verständnis der nordkaukasischen Kulturentwicklung im 4. Jahrtausend v. Chr.“, erläutert Prof. Dr. Dr. h.c. Svend Hansen, Direktor der Eurasien-Abteilung des DAI, die Ergebnisse der Studie.
„Bemerkenswert“, so Hansen weiter, „ist auch der genetische Nachweis für Kontakte zwischen Menschen im Steppen-Gebiet und einer westlichen Kulturgruppe, mutmaßlich der Kugelamphoren-Kultur Ende des 4.  oder frühen 3. Jahrtausends v. Chr. Einzelne Individuen der Jamnaja-Kultur zeigen geringe Anteile westlicher Genkomponenten, die von Westen nach Osten gelangt sein müssen. Dies bestätigt bestens die auch im archäologischen Fundbild erkennbare Kommunikation sowie die Verbreitung technischer Innovationen. Diese Kontakte fanden lange vor der Ausbreitung der Jamnaja-Kultur nach Westen statt.“
Im 3. Jahrtausend v.Chr. führen neue Bevölkerungsgruppen aus der Steppe in Europa zu einer grundlegenden Veränderung der Bevölkerung. Für die Südgrenze der Steppenzone im Kaukasus können mit der neuen Studie nun ähnliche Veränderungen belegt werden. „Vor 4800 Jahren trennen sich im Nordkaukasus jedoch nicht genetisch unterschiedliche Bevölkerungen, sondern Menschen mit vergleichbarer genetischer Signatur ordnen sich unterschiedlichen archäologischen Kulturen zu“, sagt Sabine Reinhold, Co-Leiterin des archäologischen Teams. „Individuen, die nach der Ausstattung ihrer Gräber der Jamnaja- oder Katakombengrab-Kultur in der Steppe angehören, sind genetisch kaum von solchen der Nordkaukasischen Kultur in den Vorbergen und im Gebirge zu unterschieden. Lokale beziehungsweise globale kulturelle Zuordnungen waren offenbar wichtiger als biologische Wurzeln.“

Genfluss aus dem Westen trägt zur Formierung früher Jamnaja-Gruppen im Kaukasus bei

Die massiven Bevölkerungsverschiebungen im 3. Jahrtausend v. Chr., die im Zusammenhang mit der Expansion der Jamnaja-Gruppen aus der Steppe stehen, wurden lange Zeit mit dem Transfer bedeutender technologischer Innovationen aus Mesopotamien nach Europa in Verbindung gebracht. Aktuelle Studien an der Eurasien-Abteilung des DAI zur Verbreitung früher Wagen oder Metallwaffen haben jedoch gezeigt, dass ein intensiver Austausch zwischen Europa, dem Kaukasus und Mesopotamien viel früher begann. Lassen sich für diese Verbindungen auch im genetischen Befund Indizien erbringen? Wenn ja, in welche Richtung weisen diese?
Im Erbgut der Jamnaja-Individuen aus der Vorkaukasus-Steppe finden sich in der Tat Spuren die ebenfalls charakteristisch für die benachbarten neolithischen Bevölkerungsgruppen Südosteuropas sind. Detailanalysen zeigen nun, dass der Genfluss, der zu diesen Anteilen bei den kaukasischen Individuen geführt hat, nicht in Verbindung zur Majkop-Bevölkerung zu bringen ist, sondern aus den westlich angrenzenden Regionen Europas stammen muss.
„Das sind überraschende genetische Befunde, die die Komplexität der Genese der Pastoralisten der Steppe aufzeigen“ sagt Populationsgenetiker Chuancho Wang, Erstautor der Studie am MPI für Menschheitsgeschichte und nun Professor an der Universität Xiamen in China.
Mit diesem Befund wird deutlich, dass die Steppenzone lange vor der massiven Ausbreitung der Jamnaja und verwandter Gruppen bis an den Atlantik ein eng verbundener Interaktionsraum war. Die technischen Innovationen des 4. Jahrtausend v. Chr. zirkulierten in einem Netzwerk, in dem Menschen wie Ideen ausgetauscht wurden – und dies nicht nur in eine Richtung. So finden sich in Individuen aus den trockenen Steppengebieten im Nordosten Hinweise auf genetische Einflüsse, die tiefe Wurzeln in Sibirien haben und dadurch auch in genetischer Verwandtschaft mit Nordostasiaten und indigenen Bevölkerungen Amerikas stehen. „Das zeigt, dass Eurasien noch viele spannende Kapitel birgt, die wir geduldig und in enger Zusammenarbeit mit unseren Kollegen aus Archäologie und Anthropologie beschreiben wollen“, sagt Prof. Johannes Krause, Direktor am MPI für Menschheitsgeschichte und Co-Leiter der Studie.

Mehr Infos zu den Untersuchungen im Kaukasus gibt es hier.

Quelle:

Nicole Kehrer
Leitung Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Deutsches Archäologisches Institut

Satellitenbilder entlarven Grabräuberei

Weltweit wird kulturelles Erbe rapide durch Grabräuberei zerstört. Die Beraubung archäologischer Stätten vernichtet die Forschungsgrundlagen zu alten Kulturen – der Verlust von Wissen über deren Herkunft und Identität sind die Folgen. Forschungen der Universität Bern zeigen nun, dass mittels Satellitendaten die fortschreitende Zerstörung archäologischer Stätten verfolgt werden kann. Damit ergibt sich auch erstmals ein Bild des Ausmaßes der Grabräuberei in schwer zugänglichen Weltregionen.

Vor mehr als zweieinhalb Jahrtausenden begannen sich nomadische Kulturen von Südsibirien bis nach Osteuropa auszudehnen. Ihnen war gemein, dass sie für ihre Toten große Hügelgräber errichteten, die sie oftmals mit kunstvoll gefertigten Waffen und filigranem Goldschmuck für das Jenseits ausstatteten. Viele der organischen Materialien sind für Archäologinnen und Archäologen für immer verloren, aber die Artefakte aus Metall blieben erhalten. Oftmals aus Bronze oder Gold hergestellt, ziehen diese Grabschätze aber Räuber an. Während der Kolonialisierung Sibiriens im 18. Jahrhundert entwickelte sich die Grabräuberei zum regelrechten Beruf: So zogen Grabräuberbanden mit bis zu 300 Mitgliedern durch die Steppen und zerstörten diverse Gräber. Zumeist schmolzen sie die Kunstwerke, die sie aus den Gräbern erbeutet hatten, zwecks leichteren Transports gleich vor Ort ein.

Forschen mit hochauflösenden Satellitendaten

Heute ist es deshalb schwierig geworden, unzerstörte Gräber zu finden. Die Preise, die für archäologische Kunstwerke aus Gräbern auf dem Schwarzmarkt erzielt werden können, sind aber umso höher. Gino Caspari vom Institut für Archäologische Wissenschaften der Universität Bern untersuchte in seinem Forschungsprojekt den Zustand von Gräbern in einer schwer zugänglichen Region in Nordwestchina mithilfe von hochauflösenden Satellitendaten. Diese können den Zustand der Gräber vom All aus erfassen. »Für unsere Untersuchungen haben wir uns bewusst ein Gebiet in Xinjiang ausgesucht – wir vermuteten, dass aufgrund der erschwerten Zugänglichkeit mehr Gräber intakt geblieben und nicht geplündert worden sind«, erklärt Caspari. Jedoch wurde diese Annahme nicht bestätigt: »Mehr als 74,5 Prozent der untersuchten Gräber waren bereits zerstört und ausgeraubt«, so Caspari.

Archäologische Stätten akut bedroht

Mittels einer Begehung vor Ort gelang es den Forschenden aufzuzeigen, dass die Satellitendaten erlauben, eine akkurate Einschätzung des Zerstörungsgrades von Gräbern vorzunehmen. Über eine wiederkehrende Auswertung von Satellitenbildern können somit Grabräuberaktivitäten verfolgt werden. Caspari analysierte Daten, die bis ins Jahr 2003 zurückgehen, und stellte fest, dass seither immer wieder archäologische Stätten geplündert wurden. »Die letzten archäologischen Stätten der antiken Steppenkulturen sind damit akut bedroht«, sagt Caspari.

Die neuen Forschungsresultate, die im Journal »Heritage« veröffentlicht worden sind, erlauben es aber nun, auch in schwer zugänglichen Regionen ein konsequentes Monitoring dieser bedrohten Kulturgüter durchzuführen. Die Aktivitäten von Grabräubern können frühzeitig erkannt und entsprechende Maßnahmen zum Schutz der Gräber ergriffen werden.

Weitere Infos zu dem Projekt der Universität Bern gibt es hier.

Quelle:

Nathalie Matter
Corporate Communication
Universität Bern

Heiligtum auf der Osterinsel entdeckt

Schon immer war Süßwasser auf der Osterinsel (Rapa Nui) inmitten des Pazifiks ein wertvolles Gut. Obwohl ausreichend Regen fällt, sind oberflächlich gut erreichbare Wasserspeicher selten oder nur schwer zugänglich. Ein Team der Kommission für Archäologie Außereuropäischer Kulturen des DAI will herausfinden, wie die einstigen Siedler während der letzten tausend Jahre mit dem Wassermangel umgegangen sind. In Ava Ranga Uka a Toroke Hau – einem an einem Wasserfall gelegenen Fundplatz aus dem 13.–17. Jahrhundert – stießen sie auf überraschende Befunde: An den Wasserfall schließen sich künstliche Kanäle, mehrere Wasserbecken und eine Prozessionsstraße an. Noch ist die genaue Funktion der Becken rätselhaft – genau wie die einer Herdgrube, die die Archäologen neben einem der Becken freigelegt haben. Sie enthielt Steine, Holzkohle und Asche. Wurden die Steine dort erhitzt, um damit das Wasser im benachbarten Becken zu erwärmen?

Zunächst ebenfalls überraschend waren die gewaltigen Mengen von Stein- und Schottermaterial, die die ehemaligen Osterinsel-Bewohner bewegt haben, um ältere Anlagen wie Wasserbecken und Kanäle mit monumentalen Terrassen zu überbauen. Die Terrassen scheinen die früheren Installationen förmlich zu versiegeln und von einer weiteren Nutzung auszuschließen. Zusammen mit den anderen Befunden liegt die Vermutung nahe, dass damit der Zugang zum Wasser des Baches gesellschaftlich und religiös sanktioniert und durch Tabus reglementiert wurde. Gestützt wird die These durch mehrere Gruben, in denen man rotes Pigment herstellte. Rot gilt in Polynesien als heilig und repräsentiert spirituelle Kraft, physische Stärke und Fruchtbarkeit. Auch Seen, Brunnen, Becken und Quellen – wie etwa der Wasserfall von Ava Ranga Uka a Toroke Hau – sind im polynesischen Kulturkreis heilige Orte, an denen Götter und Geister wohnen.

Die in Ava Ranga Uka a Toroke Hau freigelegten Anlagen waren folglich Teil eines Wasser- und Fruchtbarkeitsheiligtums. Hier fanden rituelle Handlungen statt, die einerseits einen Regenzauber bewirken, andererseits aber auch menschliche Fruchtbarkeit steigern sollten.
Die weiteren Forschungen sollen neue Erkenntnisse zur Gestaltung des Fundplatzes durch monumentale Terrassen, aber auch Einblicke in die frühe Nutzung des Heiligtums liefern.

Weitere Infos zu den Grabungen auf Rapa Nui gibt es hier.

Quelle:

Nicole Kehrer
Leitung Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Deutsches Archäologisches Institut

Bodenradar entdeckt Wikingerschiff

Ausgerüstet mit einem motorisierten hochauflösenden Bodenradar haben ArchäologInnen in der Region Østfold in Norwegen ein Wikingerschiff und eine große Anzahl von Grabhügeln und Langhäusern entdeckt.

Die ArchäologInnen vom norwegischen Institut für Kulturgüterforschung (NIKU) haben mit der vom Ludwig Boltzmann Institut für Archäologische Prospektion und Virtuelle Archäologie (LBI ArchPro) in Wien und Niederösterreich entwickelten Technologie diese einzigartige Entdeckung gemacht. Das Wikingerschiff befindet sich knapp unter der Bodenoberfläche in einer Tiefe von ungefähr 50 cm und wurde ursprünglich in einem Grabhügel bestattet. Die digitalen Visualisierungen der Radardaten zeigen eine klar erkenntliche schiffsförmige Struktur mit einer Länge von 20 m. Die Daten deuten darauf hin, dass der untere Teil des Schiffes bis heute gut konserviert ist. Weitere zerstörungsfreie Untersuchungen sind geplant, um diesen besonderen Fund und die umgebende Landschaft digital zu kartieren.

Johanna Mikl-Leitner, Landeshauptfrau von Niederösterreich: „Bei dem in ganz Europa erfolgreich operierenden LBI ArchPro zeigt sich, wie wichtig die enge Zusammenarbeit in Forschung und Entwicklung in einem Europa der Regionen ist. Die von Niederösterreich unterstützten Entwicklungen für die digitale Archäologie helfen mit, unser gemeinsames kulturelles Erbe zu erkunden und zu schützen, um es für die Öffentlichkeit zugänglich zu machen, aber auch um es für die nachkommenden Generationen zu bewahren. Das Land Niederösterreich ist stolz, an dieser bedeutenden Entdeckung in Norwegen Anteil zu haben und sieht sich auf dem Weg der Unterstützung von Spitzenforschung zum Wohl unserer Gesellschaft bestätigt. Nach den einzigartigen Entdeckungen wie der Gladiatorenschule oder des ersten Amphitheaters in Carnuntum ist dem LBI ArchPro mit dieser Entdeckung ein weiterer Meilenstein gelungen, der zeigt, wie wichtig die zerstörungsfreie Erkundung und Dokumentation unseres gemeinsamen kulturellen Erbes in Europa ist und in Zukunft werden wird. Das Land Niederösterreich freut sich, als einer der Mitbegründer des LBI ArchPro gemeinsam mit den norwegischen Partnern einen weiteren bedeutenden Fund zur europäischen Geschichte der Bevölkerung zugänglich zu machen. Mit dem LBI ArchPro hat die Digitalisierung auch längst in der Archäologie Einzug gehalten.“

Sensationeller Fund von Wikingerschiff, Grabhügeln und Langhäusern

Der sensationelle Fund befindet sich in Viksletta, in direkter Nachbarschaft zum monumentalen Grabhügel von Jelle in Østfold, Norwegen. Das Team hat die Überreste von zumindest acht bisher völlig unbekannten und vom Pflug zerstörten Grabhügeln lokalisiert. Mithilfe des Bodenradars ist es jedoch möglich, die Überreste und die umfassenden Gräben dieser massiven Monumente bis in kleinste Details zu kartieren. Einer dieser zerstörten Grabhügel zeigt deutlich die Überreste eines ursprünglich im Hügel bestatteten Wikingerschiffes. Es gibt klare Hinweise darauf, dass der Kiel und der untere Teil des Schiffes in diesem Grab noch bestens konserviert sind. Basierend auf dem Wissen über andere bekannte Wikingerschiffe erstellten die ArchäologInnen eine erste hypothetische Rekonstruktion des Schiffs.

„Wir sind sicher, dass hier ein Schiff bestattet ist. Wie viel tatsächlich noch erhalten ist, ist vor weiteren Untersuchungen schwer zu sagen“, sagt Morten Hanisch, Landeskonservator von Østfold. Und Dr. Knut Paasche, Leiter der Abteilung für digitale Archäologie von NIKU und ausgewiesener Wikingerschiff-Experte, ergänzt: „Dieser Befund ist ausgesprochen aufregend, da wir bisher nur drei gut erhaltene Wikingerschiffe in Norwegen kennen, alle vor über 100 Jahren ausgegraben. Dieses Schiff ist von großer historischer Bedeutung, da wir es mit den modernsten Mitteln der Archäologie untersuchen können.“

Neben den monumentalen Grabhügeln hat das Bodenradar noch die Überreste von fünf Langhäusern ans Tageslicht gebracht, einige von ihnen von beachtlicher Größe, eine Situation vergleichbar mit der Fundstelle Borre in Vestfold, auf der gegenüberliegenden Seite des Oslo Fjords. „Dieser Schiffsfund liegt nicht isoliert, sondern war Teil eines Gräberfeldes, welches Macht und Einfluss weithin sichtbar repräsentierte“, sagt der Archäologe Lars Gustavsen, Projektleiter von NIKU.

Die Archäologen von NIKU planen gemeinsam mit dem LBI ArchPro weitere zerstörungsfreie geophysikalischen Methoden einzusetzen, um weitere grundlegende Fakten zur Struktur und dem Erhaltungszustand des Schiffes ohne Bodeneingriff zu erhalten. Das Team geht davon aus, dass nach Abschluss der nichtinvasiven Untersuchungen archäologische Ausgrabungen zur Sicherung dieses einzigartigen Fundes notwendig sein werden.

Die Bodenradaruntersuchungen beim Grabhügel von Jelle wurden von NIKU in enger Zusammenarbeit mit der Provinz Østfold durchgeführt. Die genutzte Methode und Software wurden vom LBI ArchPro in Wien und Niederösterreich entwickelt.

Mehr Infos zu der Entdeckung des Wikingerschiffes gibt es hier.

Quelle:
MSc Manon Oschounig
Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Ludwig Boltzmann Gesellschaft

Webarchive – Internet für die Nachwelt

Was könnte Historikerinnen und Historiker im Jahr 2058 am Online-Wahlkampf in Bayern 2018 interessieren? Ein Team der Universität Passau entwickelt in dem DFG-Projekt Webarchive Methoden, um Webseiten, Online-Berichte, Social-Media-Debatten und Kommentare systematisch aufzubewahren.

Die große Zeit des World Wide Webs beginnt in den 90er Jahren: „Aus dieser Zeit ist aber auch viel verloren gegangen“, sagt Prof. Dr. Malte Rehbein, Inhaber des Lehrstuhls für Digital Humanities an der Universität Passau, „sodass man von den dark ages des Internet sprechen kann“. Seitdem hätten sich verschiedene private Initiativen gefunden, um alte Webseiten für die Nachwelt aufbewahren, darunter etwa der Online-Dienst Wayback Machine des gemeinnützigen Projekts Internet Archive. Allerdings seien diese Aktivitäten mehr oder weniger zufällig. Meist fehlt eine systematische Entwicklung des Bestands, und die Möglichkeiten der wissenschaftlichen Nutzung sind stark eingeschränkt.

Verfahren und Tools der Digital Humanities

Hier setzt das DFG-Projekt „Webarchive – Methoden der Digital Humanities in Anwendung für den Aufbau und die Nutzung von Webarchiven“ an, das Prof. Dr. Rehbein zusammen mit Prof. Dr. Daniel Göler, Inhaber des Jean-Monnet-Lehrstuhls für Europäische Politik, leitet. Partner des Projekts ist die Bayerische Staatsbibliothek. Das Forschungsteam testet innovative und intuitive Zugangswege sowie die Umsetzung von Verfahren zum automatisierten und nutzungsgesteuerten Bestandsaufbau.

Dazu führen Forscherinnen und Forscher eine politikwissenschaftliche Fallstudie zum Framing europapolitischer Themen im World Wide Web während des bayerischen Landtagswahlkampfes 2018 und des Europawahlkampfs 2019 durch. Diese Fallstudie liegt an der Schnittstelle von zwei aufkommenden Forschungsfeldern, nämlich einerseits den Veränderungen von Wahlkämpfen durch Online-Kommunikation und andererseits der zunehmenden Bedeutung europapolitischer Themen im nationalen Diskurs, welche sich unter dem Stichwort der Europäisierung zusammenfassen lassen.

„Solchen Fragestellungen, die sich mit dem klassischen methodischen Instrumentarium der Politikwissenschaft nur begrenzt bearbeiten lassen, in einem interdisziplinären Verbund nachgehen zu können, ist eine große Chance“, so Prof. Dr. Daniel Göler.

Das Projekt umfasst drei Bereiche:

• Wissenschaftliche Anwendung: Forschende aus dem Bereich Politikwissenschaft prüfen, welche Informationen für typische Fragestellungen relevant sein könnten und deshalb archiviert werden sollten

• Prozess der Archivierung: Partner des Projekts ist die Bayerische Staatsbibliothek, die die Online-Inhalte in bestimmten Zeitschnitten speichert

• Methoden und Verfahren der Digital Humanities: Das Team um Prof. Dr. Rehbein untersucht, welche zeitlichen Abstände für die Speicherung sinnvoll sind und testet an den ausgewählten Datenbeständen Tools, um etwa die Dynamik von Online-Debatten zu messen und sichtbar zu machen

„Wir beschäftigen uns unter anderem mit der Frage: Wie kann ich die Erfahrung archivieren, die ein Mensch mit dem Internet im Jahr 2018 hatte?“, sagt Prof. Dr. Rehbein. Praxistauglich geprüfte Werkzeuge würden in eine projektspezifische Webplattform übernommen. Ziel sei es, erfolgreich getestete Verfahren und Tools so zu gestalten, dass sie auch von anderen Organisationen, die das Web selektiv archivieren, eingesetzt werden können.

Der Lehrstuhl für Digital Humanities bringt in das Projekt sowohl das benötigte Methodenwissen als auch die Grundlagen für eine wissenschaftstheoretische Einordnung der Webarchivierung ein. Außerdem dient er als Informationsvermittler zwischen den wissenschaftlichen Anwenderinnen und Anwendern und der Staatsbibliothek.

Quelle:
Katrina Jordan
Abteilung Kommunikation
Universität Passau

Rätselhafte Ritzungen auf Mammutrippe

Archäologen der Universität Tübingen präsentieren im Urgeschichtlichen Museum Blaubeuren einen seltenen Knochenfund – Markierungen lassen eine Nutzung als Informationsträger annehmen.

Schon vor mehr als 30.000 Jahren nutzten Menschen die Rippenknochen großer Tiere als Werkzeug – etwa zum Walken von Leder. Da große fetthaltige Knochen aber auch ein guter Ersatz für das in der Eiszeit knappe Brennholz waren, sind solch große Knochen aus dieser Zeit relativ selten erhalten geblieben. Wie Professor Nicholas Conard, Leiter der Abteilung Ältere Urgeschichte und Quartärökologie der Universität Tübingen, und seine Grabungsmannschaft nun im heute erschienen Jahrbuch „Archäologische Ausgrabungen in Baden-Württemberg“ berichten, wurde in der Welterbe-Höhle „Hohle Fels“ auf der Schwäbischen Alb ein Fund geborgen, der neue Interpretationen über die Nutzung solcher Knochen in der Altsteinzeit ermöglicht.

Professor Conard präsentierte den eindrucksvollen Fund am Donnerstag bei einer Pressekonferenz im Urgeschichtlichen Museum Blaubeuren (urmu), dessen wissenschaftlicher Direktor Conard ist. Es handelt sich um die Rippe eines Mammuts, die in der Wohnhöhle der Altsteinzeit in den Schichten aus der sogenannten Gravettien-Periode gefunden wurde und somit zwischen 35.000 und 30.000 Jahre alt ist. Das Stück ist 44 Zentimeter lang, bei einer Breite von 5,1 Zentimetern und einer Dicke von 2,1 Zentimetern. Außergewöhnlich sind die Spuren der Bearbeitung, der Nutzung und die Markierungen darauf. Die Enden wurden abgerundet bzw. abgebrochen.

Ganz besonders auffällig ist die dickere Kante der Rippe: Sie weist zwei Reihen von Markierungen auf. Eine zeigt 83 und die andere 90 Striche. An anderer Stelle weist die Rippe weitere 13 schwächere und längere Einschnitte auf. All diese Markierungen sind sehr gut erkennbare, saubere Einschnitte, die mit Sicherheit gezielt platziert wurden. Sie unterscheiden sich in Länge und Tiefe und wurden wahrscheinlich nicht in einem Durchgang eingeritzt.

„Die entscheidende Frage ist nun, welche Funktion dieser Fund besaß“, sagt Professor Conard, „obwohl viele gravettienzeitliche Funde Markierungen tragen, sind Vergleichsstücke aus Südwestdeutschland selten. Auch in anderen Regionen der Welt gibt es keine optimalen Vergleichsfunde. Wir vermuten stark, dass die Rippe als Informationsträger diente.“ Genau lasse sich nicht sagen, welche Art von Information hier festgehalten wurde. Die Ausgräber vermuten, dass etwas gezählt wurde. „Aber es ist unbekannt, ob es hier um Jagdbeute, Menschen, Tage, Mondzyklen oder etwas anderes ging“, sagt Conard weiter, „eine Art von Kalender ist zwar naheliegend, aber die Zahlen 83, 90 und 13 ergeben für uns kein klares System. Wir werden uns künftig näher mit diesen Fragen auseinandersetzen.“

Die Mammutrippe wird nun bis Anfang Januar 2019 im urmu als „Fund des Jahres“ ausgestellt. „Diese Mammutrippe steht in ihrer Interpretation zwischen komplexer symbolischer Bedeutung und einer ganz praktisch orientierten Nutzung im Alltag“, sagt Dr. Stefanie Kölbl, geschäftsführende Direktorin des urmu, „ob wir es hier mit kalendarischen Vermerken, mit Notizstrichen von komplizierten Arbeitsschritten oder mit einem altsteinzeitlichen Spiel zu tun haben, wissen wir nicht. Wir freuen uns aber darauf, mit unseren Besuchern eine spannende Diskussion darüber zu führen, wofür die Reihen aus 13, 83 und 90 Strichen wohl stehen könnten.“ Dr. Kölbl kündigt daher an, vor Ort in der Kabinettausstellung sowie auf Facebook Ideen zu den Ritzungen auf der Rippe zusammenzutragen.

Mehr Infos gibt es hier.

Quelle:

Antje Karbe 
Hochschulkommunikation
Eberhard Karls Universität Tübingen

Ägyptologen entdecken vergoldete Mumienmaske

Deutsch-ägyptisches Wissenschaftlerteam stellt neue Ergebnisse der Ausgrabungen in Sakkara vor.

Wissenschaftler der Universität Tübingen haben im ägyptischen Sakkara eine vergoldete Mumienmaske aus saitisch-persischer Zeit (664-404 v. Chr.) entdeckt. Wie der Leiter des deutsch-ägyptischen Teams, Dr. Ramadan Badry Hussein, am Samstag berichtete, wurde die Maske in einer ausgedehnten Grabanlage gefunden, die seit 2016 von Tübinger Ägyptologen mit neuesten Methoden untersucht wird. Nach dem Ergebnis einer ersten Untersuchung im Ägyptischen Museum in Kairo besteht die Maske aus Silber und ist teilweise vergoldet. Die Augen wurden als Einlegearbeit mit einem schwarzen Edelstein (möglicherweise Onyx) sowie Calcit und Obsidian ausgeführt.

„Der Fund dieser Maske darf als Sensation gelten“, sagte Hussein: „Nur sehr wenige Masken aus Edelmetall haben sich bis heute erhalten, weil die Mehrzahl der Gräber altägyptischer Würdenträger schon in der Antike geplündert wurden.“ Wie der Leiter des Projekts berichtete, befand sich die wertvolle Maske auf dem Gesicht einer Mumie, die in einem stark beschädigten Holzsarg entdeckt wurde. Die erhalten gebliebene Verzierung des Sarges lässt darauf schließen, dass es sich bei dem Toten um einen Priester der Göttin Mut und der Göttin Niut-schi-es handelte, der zur Zeit der 26. Dynastie lebte. Der Fund wurde am Samstag von Wissenschaftlern und Vertretern des ägyptischen Antikenministeriums der Öffentlichkeit präsentiert.

„Altägyptische Totenmasken aus Gold und Silber sind außerordentlich selten“, sagte Professor Christian Leitz, Leiter der Abteilung für Ägyptologie an der Universität Tübingen: „Belegt sind lediglich zwei weitere vergleichbare Funde aus Privatgräbern, der letzte davon im Jahr 1939.“ Selbst in den ägyptischen Königsgräbern seien von Wissenschaftlern nur sehr wenige Mumienmasken aus Edelmetall gefunden worden. Ein Großteil der Masken sei zuvor bereits von Grabräubern entwendet und anschließend vermutlich eingeschmolzen worden.

Der Grabkomplex, der seit 2016 von Tübinger Ägyptologen untersucht wird, besteht aus mehreren, teils über dreißig Meter tiefen Schachtgräbern. Über einem der Hauptschächte fanden die Wissenschaftler unter anderem die Reste eines rechteckigen Gebäudes aus Lehmziegel und Kalksteinblöcken, das wohl als Werkstatt zum Einbalsamieren der Verstorbenen diente. Innerhalb des Gebäudes fanden sich zwei große Becken, die vermutlich einerseits zur Verarbeitung von Natron zur Trocknung der Körper und andererseits zur Vorbereitung der Leinenbinden für die Mumifizierung dienten. Ebenfalls auf den Prozess der Balsamierung deuten Gefäße hin, die mit den Namen von Ölen und Substanzen beschriftet sind, die für die Mumifizierung notwendig waren.

In den Seitenwänden und am Boden des Schachtes konnten eine ganze Reihe von unberührten Grabkammern entdeckt und geöffnet werden. Neben Mumien und Sarkophagen traten eine Vielzahl von Objekten zu Tage, unter anderem ganze Sätze von leuchtendblauen Fayence Statuetten – den sogenannten Uschebtis und Kanopen aus Alabaster, in denen die Organe der einbalsamierten Toten aufbewahrt wurden.

Bei der Untersuchung der Nekropole von Sakkara setzen die Tübinger Wissenschaftler auf den Einsatz modernster Technologie für die Dokumentation und Erfassung der gesamten Anlage. So ist das eScience-Center der Universität Tübingen unter der Leitung von Dr. Matthias Lang für die vollständige hochpräzise 3D-Dokumentation der Anlage sowie der bedeutenden Objekte verantwortlich. Eine Kombination von Laserscanning und bildbasierten 3D-Verfahren machen die räumlichen Zusammenhänge der räumlich hochkomplexen Gräber erstmals sichtbar und analysierbar.

Weitere Infos zur neu entdeckten Mumienmaske gibt es hier.

Quelle:
Antje Karbe
Hochschulkommunikation
Eberhard Karls Universität Tübingen